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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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erklärt Oolie Mr. Clements mit einem lauten Flüstern. »Es waren so Jungs. Ich hab sie gesehen.«
    Doros Wangen werden kalkweiß, und plötzlich sieht sie aus wie eine alte Frau. Sie tut Clara schrecklich leid.
    »Ich glaube, das ist genug«, schaltet sie sich ein. »Außer Sie haben noch etwas Konstruktives zu sagen?«
    »Warum probieren wir es nicht für sechs Monate aus? Wenn es nicht klappt, können Sie einfach weitermachen wie ...«
    »Also gut!« Doro seufzt und wirft die Hände hoch. »Sie haben mich so weit.« Sie steht auf wie eine Schlafwandlerin und stolpert nach hinten, um Wasser aufzusetzen.
    »Gut gemacht«, flüstert Clara Mr. Clements zu.
    Er zuckt die Schultern und lächelt. »Meinen Sie, jetzt bekomme ich doch einen Tee?«
    »Sieht so aus«, sagt Marcus.
    »Dad, du hast schon wieder gefurzt«, sagt Oolie.
    Zu schade, dass er diesen Bart trägt, denkt Clara.

Doro
    Das Feuer
    Obwohl bereits Weihnachtsgirlanden zwischen den Laternenpfosten hängen, oder vielleicht eben deswegen, wirkt Doncaster an diesem letzten Novembersamstag besonders trostlos, als Doro über den fast leeren Bürgersteig zu Woolworth geht, auf der Suche nach Janey. Sie muss ihr ein paar Fragen wegen des Feuers stellen, Fragen, die sie klären muss. Es ist so lange her, alle haben es vergessen, bis auf Doro, und selbst ihre eigene Erinnerung ist verzerrt, eine Mischung aus dem, was sie gesehen hat, dem, was sie vermutet hat, und dem, was sie damals sagte und was sich später in ihrem Denken zu objektiver Wahrheit erhärtet hat. Janeys Worte bei ihrer letzten Begegnung gehen ihr nicht aus dem Kopf. »Waren es nicht irgendwelche Jungs?«
    Doch die Schaufenster von Woolworth sind mit riesigen »Räumungsverkauf!«-Plakaten tapeziert, und Janey ist nicht da. Doro wandert durch den verlassenen Laden, zwischen leergepflückten Wühltischen und Plakaten, auf denen »Letzte Gelegenheit!« steht, und erinnert sich vage, dass sie etwas von Konkursverwaltung bei Woolworth gelesen hat. Es kommt ihr unfassbar vor, dass etwas scheinbar so Ewiges, etwas, das es seit ihrer eigenen Kindheit gibt, einfach so verschwinden kann.
    Als sie ein kleines Mädchen war, hat ihre Mutter sie samstags zu Woolworth mitgenommen, und sie durfte sich für ihr Taschengeld etwas an der Süßigkeitentheke kaufen. Dreißig Jahre später, als sie in der Kommune lebten, hat sie das Gleichemit Clara und Serge gemacht. Serge gehörte zu den Kindern, die ihre Süßigkeiten horteten und weinten, wenn die anderen ihm etwas zu klauen versuchten. Doro muss lächeln, als sie sich an die Tränen und das Gezank von vor langer Zeit erinnert. Später hat er aufgehört, Süßigkeiten zu horten, und stattdessen andere Dinge gesammelt – Schneckenhäuser, getrocknete Sonnenblumen, Kiefernzapfen.
    Und nach dem Feuer hat sie die verkohlten Reste der Kiefernzapfen im Kamin gefunden. Serge muss sie in Campsall Woods gesammelt haben – es gab keine Nadelbäume in der Nähe von Solidarity Hall. Selbst nach vierzehn Jahren erinnert sie sich noch genau, wie sie an jenem Tag von der Arbeit nach Hause fuhr, verspätet, weil es im Zentrum einen Stau gegeben hatte. Ein kleines Mädchen war von einem Raser überfahren worden. Die Tragödie anderer Leute.
    Sie erinnert sich, wie ihr fast das Herz stehen blieb, als sie auf den Feldweg fuhr und durch das Wedeln der Scheibenwischer den kleinen Menschenauflauf sah, der den Feuerwehrwagen vor ihrem Haus begaffte, die großen Wasserkaskaden, die aus den Schläuchen schossen. Sie erinnert sich an den Geruch von verkohltem Holz und versengter Farbe, die schwarzen Rauchschwaden, die im wirkungslosen Nieselregen aufstiegen. Aber warum war Serge da? Er sollte in der Schule sein, um vier hatte er seinen Schachclub. Und doch war er da, und Tränen rannen ihm über das Gesicht, vermischt mit dem Regen und grauen Ascherinnsalen, und er redete irgendwas von Oolie, und dass er Rauch gesehen hatte und den ganzen Weg zur roten Telefonzelle im Ort gerannt war. Und sie sah sich nach Oolie um und dachte, sie müsste jeden Moment nach Hause kommen, und dann begriff sie endlich und schrie: »Oolie! Wo ist Oolie?«
    Sie hatten die Tür zum Anbau aufgestemmt und Oolie herausgezogen. Sie war bewusstlos, mit schrecklichen Verbrennungen an den Armen. Doro hatte sich gezwungen, ruhig zu bleiben, hatte Serge in die Arme genommen und ihm die Augenzugehalten. Erst als der Krankenwagen kam, hatte sie die Fassung verloren und die Gaffer angeschrien, die den Feldweg blockierten. Wo

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