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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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gesehen zu haben – und wenn doch, machten sie den Mund nicht auf. In kleinen Gemeinden gab es immer Gerede, Tratsch, doch sosehr sie sich um Akzeptanz bemüht hatten, die Kommune war nie Teil dieses unsichtbaren Klatsch-Netzwerkes geworden, das seine eigenen Loyalitäten, Geheimnisse und Fehden hatte.
    Janey dagegen schon. Janey musste jemanden kennen, der jemanden kannte, der damals in Campsall oder Norton gelebt hatte. Janey musste wissen, was damals geredet worden war – und was verschwiegen worden war.
    »Kennen Sie Janey Darkins?«, fragt Doro einen jungen Mann mit fettigen Haaren an der Kasse der Spielzeugabteilung, doch er zuckt nur die Schultern.
    Eine junge Frau in der Kosmetikabteilung sagt ihr, Janey sei nicht mehr da. »Wir schließen. Die meisten hier haben schon aufgehört.«
    Wie blind wandert Doro hinaus in den feuchten winterlichen Morgen und überlegt, was sie jetzt tun soll. Vielleicht ist es ja das Beste, wenn ihre Fragen unbeantwortet bleiben. Sie setzt sich in ein winziges düsteres Café, wo sie vielleicht auch mit Janey hingegangen wäre, und trinkt bitteren, verbrannt schmeckenden Kaffee aus einem Styroporbecher, während sie sich fragt, ob es besser für Oolie ist, die Erinnerungen vergraben zu lassen, bis sie vermodern und sich schließlich ganz auflösen? Oder ist es besser, sie freizulegen und sie ans helle, sterilisierende Tageslicht zu bringen?
    Es gibt eine ganze Industrie von Therapie und Beratung und Analyse, die auf dem Glauben beruht, die Vergangenheit müsse ausgegraben und desinfiziert werden wie ein undichter Abwasserkanal. Auf der anderen Seite ist da die große Heilerin Zeit – mit dem vagen, verschwommenen Trost des Vergessens.
    Langsam, als würde das Gehen sie große Mühe kosten, wandert sie die leere High Street hinauf, vorbei an mit Brettern zugenagelten Schaufenstern, an Ramschläden mit Weihnachtsflitter und Geschäften mit Räumungsverkauf. Als sie mit ihrem Seniorenticket in der Hand an der Bushaltestelle wartet, spürt sie das Gewicht des niedrigen Himmels auf sich lasten.
    Was wird jetzt aus Oolie? Wie konnte Marcus sie all die Jahre anlügen? Was verheimlicht ihr Serge?
    Alles, was in den letzten zwanzig Jahren zu den Grundfesten ihres Lebens gezählt hat, ist im letzten Monat aus den Fugen geraten. Der Kleingarten – ihr Paradies und Tempel – steht kurz vor der Zerstörung. Selbst die Stadt, in der sie lebt, scheint sich aufzulösen. »SONDERPREISE!« »ALLES FÜR £ 1!«, »ALLES MUSS RAUS!«, schreien die Plakate.

Serge
    Der Finanzausschuss
    Am Montagmorgen beschließt Serge, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, statt die U-Bahn zu nehmen, damit er mehr Zeit hat, sich psychisch auf das vorzubereiten, was ihm bevorsteht. Es ist ein kalter, frischer Dezembermorgen, die tiefstehende Sonne vertreibt die Schneewolken der letzten Nacht und lässt die Schneereste auf den Bürgersteigen schmelzen. Er grüßt die Ladeninhaber, die ihre Rollläden hochziehen und die Zeitungsständer herausstellen. Er grüßt die geschniegelten Bürodrohnen, die an den beheizten Tischen draußen vor Peppe’s ihren morgendlichen Lungo schlürfen. Er grüßt den Pförtner der FATCA und die Blondinen am Empfang. Er grüßt die vier mürrischen Männer und die schweigsame verschlafene Frau im vollen Fahrstuhl. Er fühlt sich gut.
    Nach vierzehn Tagen Stille wirft ihn der Geräuschpegel fast um, als er die Tür zum Handelsraum aufdrückt. Doch er reißt sich zusammen und lächelt. Er wünscht Tootie und Lucie und den Franzosen einen guten Morgen. Der Stuhl des Hamburgers ist leer. Maroushka sitzt im Glaskasten, in einem neuen schwarzen Kleid mit passendem Jackett, telefoniert und dreht sich auf Timos altem Stuhl hin und her. Sie sieht toll aus in Schwarz, aber auch älter. Und ihr Haar ist anders – zu einem straffen Knoten zurückgesteckt statt der lockeren Kaskaden, die ihr über die Schultern fielen. Sie fängt seinen Blick auf, wedelt mit vier Fingern, dann dreht sie sich wieder weg. Er hängtdas Jackett über die Stuhllehne und schaltet seinen Computer an. Es dauert ewig: zwei Wochen Sicherheitsscans, Konfigurationen, Updates, Fenster mit unverständlichen Richtlinien, die er anklicken muss, um dann neu zu starten. Also schlendert er zum Glaskasten und stellt sich in die Tür.
    »Na, wie läuft’s?«
    Sie beendet das Telefonat und sieht zu ihm auf. »Alles normal. Willkommen zurück in der Securitisation, Sergej.«
    »Ich habe gehört, es gibt einen neuen Bereichsleiter?«
    Sie

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