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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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singen, aber er spürt ebenfalls Leichtigkeit in sich hochsprudeln. Auch er hat etwas zu feiern, auch wenn er mit niemandem hier darüber reden kann, und er beschließt, sich den zwei Franzosen anzuschließen, die beide Ende zwanzig sind, gutaussehend auf diese zwielichtige dunkle gallische Art, und dem älteren hellhaarigen Hamburger, die zusammen in eine Bar wollen, wo sie auf die Schönheit des Lebens, die neugeborene Tochter des Hamburgers und das Lächeln von Carla Bruni trinken wollen.
    »... hyper mignonne ... plutôt baisable. Qu’en pensent les anglais?«
    »Wie eine ... Comme une gazelle ?«, schlägt er vor.
    Sie lachen, und er lacht auch, plötzlich überspült von einer warmen, klebrigen Welle des Gefühls, dazuzugehören zu dieser schönen, jungen, erfolgreichen, freischwebenden, ballastfreien globalen Elite, deren Titel Reichtum, deren Ausweis Intelligenz und deren einzige Nation das Geld ist.

Clara
    Die Trumpffamilie
    Im Radio läuft Bob Marley – ›By The Rivers of Babylon‹ –, als Clara am Freitagabend auf dem Heimweg nach Sheffield mit den Daumen aufs Lenkrad trommelnd auf der Autobahn im Stau steht. Der Song war damals in Solidarity Hall ihr Lieblingslied, und er führt ihre Gedanken zurück auf die halbvergessenen Pfade ihrer Kindheit.
    »... there we sat down (ye-ea) we wept ...«
    Nach dem Tod von Fizzy dem Hamster und ihrer Niederlage gegen die widerlichen Jungs aus den Prospects zog sie sich immer mehr in sich zurück; sie meldete sich nicht auf die Fragen der Lehrer; alles kam ihr so gedämpft und so weit weg vor, und sie hatte zu nichts Lust. Mit der Zeit fiel ihr das Lesen immer schwerer. Sie hatte häufig Ohrenschmerzen und schwänzte die Schule, um zu Hause in Solidarity Hall zu bleiben, wo immer irgendwas Interessantes los war.
    »Ich will auf eine andere Schule«, sagte sie eines Tages zu Doro.
    »Warum, Schätzchen?«
    »Ich habe hier keine Freunde.«
    »Wir müssen lernen, uns mit ganz unterschiedlichen Leuten anzufreunden«, sagte Doro.
    »Warum?«
    »Weil wir an Kooperation glauben.«
    Wieso hatte ihr das bisher niemand gesagt?
    »Warum?«
    Doro zuckte die Schultern und nahm sie in den Arm. »Weil das eben unsere Einstellung ist.«
    »... when we remembered Zion ...«
    Clara singt mit und erinnert sich.
    Die anderen in der Schule hatten Mitleid mit den Kommunenkindern – weil sie ihre Kleider teilen mussten und jeden Tag heißhungrig über die Schulspeisung herfielen. Natürlich haben sie nicht wirklich gehungert, aber sie erinnert sich an den unbändigen Appetit auf Fleisch und Nachtisch, die in Solidarity Hall selten auf den Tisch kamen. Was die anderen Kinder nicht wussten, was sie ihnen nie erklären konnten, waren die Vorteile, die es mit sich brachte, wenn man von mehreren Erwachsenen großgezogen wurde, die sich auf wohlwollend willkürliche Weise um einen kümmerten und die man wunderbar gegeneinander ausspielen konnte. Die anderen Kinder ahnten nichts von der Freiheit im Spielzimmer der Kommune, das sie Spinnlandia nannten, weil es die Ex-Insel von Lennie dem großen Anführer war. Und Clara war Spinnlandias Königin.
    »... carried us away ... captivity ... required of us a song ...«
    Einmal, kurz vor ihrem achten Geburtstag, ein paar Jahre nach dem Hamster-Vorfall, hörte sie, wie Mrs. Wiseman, die Klassenlehrerin, zum Rektor sagte: »Sie kommen alle aus Trumpffamilien, singend, wissen Sie.« Mrs. Wiseman flüsterte die Worte und versteckte dabei ihren dünnen lippenstiftroten Mund hinter den Seiten des Klassenregisters, als wäre der Ausdruck zu schockierend, um ihn laut auszusprechen, aber in Claras Ohren klang er wie Musik.
    Inzwischen musste ihr Selbstvertrauen wohl wieder gestiegen sein, denn sie hob die Hand und fragte: »Was ist eine Trumpffamilie, Miss?«
    »Ich habe nicht mit dir geredet, Clara«, gab Mrs. Wiseman zurück.
    Am Abend beim Abendessen an dem langen gelb gestrichenenTisch in der Küche von Solidarity Hall fragte sie: »Was ist eine Trumpffamilie?«
    Wie gewöhnlich waren mehrere Gespräche im Gang, und alle redeten so laut, dass es schwer war, zu Wort zu kommen. Clara musste ihre Frage mehrmals wiederholen und mit dem Löffel auf den Tisch hämmern, um auf sich aufmerksam zu machen.
    »Nicht schreien, Clara«, sagte Marcus. Er und der rote Fred diskutierten über Pirateigentum. (Aus irgendeinem Grund schienen sie das Thema unendlich faszinierend zu finden.)
    Moira Lafferty war mit dem Kochdienst an der Reihe, und da sie Vegetarierin mit

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