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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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kränklich, sondern zart, fast durchscheinend.
    Plötzlich wallt ein unerwarteter Beschützerinstinkt in Clara auf. »Bitte nennen Sie mich Clara. Meine Mutter gibt nachher eine kleine Demonstration im Gemüseschnitzen.«
    Mrs. Taylor lächelt und späht durch ihre Engelslocken. »Ist der neue Rektor auch da? Jason sagt, er ist sehr nett.«
    »Ja, das ist er. Ich zeige ihn Ihnen.«
    Mit zärtlicher Nervosität sieht Jason zu. »Alles klar, Mam? Alles klar, Miss?«
    »Na ja. Wir haben nicht viel Glück mit unseren Pflanzen, Jason«, gesteht sie. »Anscheinend wollen die Leute sie nicht mal geschenkt haben.«
    »Nee, Miss. Sie machen das falsch.«
    Er greift nach dem Schild, auf dem steht: »Bäume für Greenhills – wir suchen ein neues Zuhause – GRATIS!«, dreht es um und beginnt, mit dem Petitionen-Stift in großen Buchstaben auf die Rückseite zu schreiben:
    SONDERANGEBOHT
    MINIBEUME NUR 1£
    SUPER PREISS!
    Im gleichen Moment sieht sie aus dem Augenwinkel, wie Mr. Philpott am anderen Ende der Halle aufgeregt den braun bekleideten Arm schwenkt. Sie winkt ihn herüber.
    Er bahnt sich einen Weg durch die Menge. »Amlet – «
    Da fällt sein Blick auf Mrs. Taylor. »O schöne Nymphe!« Er rückt sich die Fliege zurecht. »Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«
    Mrs. Taylor wird rot und ihre Wangen bilden reizende Grübchen. »Ganz Ihrer Meinung, Sir. Ich hoffe, Jason macht Ihnen nicht zu viel Ärger. Wenn doch, sagen Sie mir einfach Bescheid, dann kriegt er eins auf die Nuss.«
    »Mr. Philpott ...!«, flüstert Clara, doch er ist weit weg in Helsingør.
    Plötzlich entsteht Bewegung am Ende der Halle – eine laute vertraute Stimme ruft: »Komm, Oolie! Hier lang!«
    Eine hohe Gestalt schiebt sich vor, an der Hand ein kleines pummeliges Mädchen. Die Person bewegt sich, von einem silbrigen Regencape umflattert, in einer Art rhythmischem Ausfallschritt, als wäre sie dem Set von Let’s Dance entsprungen. Clara zuckt zusammen. Was zum Teufel hat ihre Mutter da an? In solchen Momenten wünschte sie, Doro wäre die Mutter von jemand anders, so dass sie sich aus sicherer Entfernung über ihre Exzentrik amüsieren könnte.
    Oolie klammert sich ängstlich an Doro, weil sie keine Menschenmengen mag. Als sie Clara entdeckt, läuft sie auf sie zu und fällt ihr um den Hals.
    »Hallo, Clarie. Die Pflanzen da haben wir eingetöpfert, stimmt’s, Mum?«
    Sie steckt den Finger in den Kompost und leckt ihn ab.
    »Ja, Liebes. Aber jetzt lass sie in Ruhe«, sagt Doro. »Tut mir leid, dass wir so spät kommen, Clara. Ich habe das Gemüse für die Gemüseschnitzvorführung mitgebracht, wie du gesagt hast.«
    Sie wirft das silberne Regencape ab, krempelt sich die Ärmel hoch und kramt in ihrer großen Tasche herum. Dann stellt sie sich auf einen Stuhl und ruft mit einer Stimme, die durch die ganze Halle schallt: »Eltern, Schüler, darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten! Ich werde jetzt ein paar einfache Gemüseschnitztechniken vorführen.«
    Selbst nach dreißig Jahren in Yorkshire klingen die Vokale ihrer Mutter immer noch unmissverständlich nach dem Süden Englands. Oolie dagegen spricht, seit sie auf der Förderschule ist, in reinem Doncaster-Tonfall.
    »Was erzählt die da?«
    »Appetitliche Gemüsekunst ist eine Zierde für jeden Tisch!«
    Eine Zierde für jeden Tisch! Clara muss an den schmuddeligen gelben Tisch in Solidarity Hall denken, auf dem immer schmutzige Teller standen, überquellende Aschenbecher voller Jointstummel und verkrustete Töpfe mit den Resten irgendwelcher Gemüsepampen.
    Mit ein paar geschickten Bewegungen schnitzt Doro halbkreisförmige Blütenblätter aus einem Radieschen und lässt es mit einer eleganten Geste in einen Krug Wasser plumpsen, den Clara zum Gießen der Setzlinge bereitgestellt hat.
    »Das Geheimnis ist, sie in kaltes Wasser zu legen!«
    Im Raum wird es still; alle Augen sind auf die große verrückte Frau auf dem Stuhl geheftet, die in einer Hand ein Radieschen und in der anderen ein Schnitzmesser hält.
    »Dann schwellen die Blätter an und öffnen sich!«
    Clara spürt, dass sie rot wird, als sich die Besucher nach vorn drängeln, um besser sehen zu können, wie ihre Mutter die peinliche Übung an weiteren Radieschen wiederholt. Jetzt schwingt sie eine riesige Karotte durch die Luft.
    »Und nun schnitze ich eine Rakete!« Sie setzt das Messer an.
    »Toll, nicht?«, murmelt Mrs. Taylor.
    Von Doro unbemerkt, fischt Oolie die Radieschen mit den Fingern aus dem Wasser und steckt sie

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