Die Werwolfbraut (German Edition)
auch ein Gefängnis sein? Auf dem einen Eckturm flatterte die Fahne der Lampedusas mit ihrem Wappen, einem Wolf mit aufgerissenem Rachen. Schwarz war dieser Wolf, auf grünem und goldenem Grund.
Ricardo bemerkte Francescas Blick.
»Das Motto unserer Familie lautet: Traue niemand, fürchte niemand. So ist es immer gewesen.«
Innerhalb der Mauern gab es einen Haupttrakt mit schiefergedecktem Dach, vor dem sich ein Vorhof befand. Links nach vorn war an dem hinten quer über die Schlossbreite errichteten Haupttrakt ein Seitentrakt angebaut. Dort befanden sich die Zimmer der Bediensteten, von denen die meisten jetzt unbenutzt und verschlossen waren. Erinnerungen nisteten hier, der Staub mehrte sich. Die Sonne schien durch blinde Fenster in verlassene Räume wie in die Augen eines uralten Mannes, der am Leben nicht mehr teilnahm.
Der Innenhof des Schlosses war mit Kopfsteinen uneben gepflastert. Rechts gab es die Pferdeställe, Remisen und eine Garage sowie eine alte Waschküche. Rechts befand sich auch ein Ziehbrunnen. Vorn war ein Wandelgang, und hinter dem Haupttrakt und rechts befanden sich der verwahrloste Schlossgarten und ein paar ungepflegte Büsche und Grünanlagen. Alles atmete einen Hauch von Zerfall.
Francesca war eigenartig berührt. Ihr zukünftiges Heim hatte sie sich einmal gemütlicher vorgestellt. Ricardo erriet ihre Gedanken.
»Es ist nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht«, sagte er. »Ich bin halt ein Junggeselle. Nach dem Tod meiner Frau habe ich das Schloss verkommen lassen. Du kannst es aufpolieren und nach deinem Geschmack herrichten.«
Die junge Frau fasste seine Hand.
»Können wir nicht woanders wohnen?«, fragte sie. »Die meiste Zeit des Jahres. In Rom, oder in Florenz, in Padua oder in Bari? Du hast mir gesagt, dass du reich bist.«
»Ja. Aber wir müssen hierbleiben, von kurzen Ausflügen von maximal drei Wochen abgesehen. Es ist nicht anders möglich.«
Francesca erkannte, dass ihr zukünftiger Mann dazu keine Erklärungen abgeben wollte und fragte nicht weiter. Hand in Hand gingen sie in das Schloss. Ricardo führte Francesca umher und zeigte ihr die Inneneinrichtung und die Räume. Innen sah das Schloss besser aus als von außen. Dafür hatte die alte Filomena gesorgt. Gnadenlos trieb sie die Dienstbotengeschwister und den Hausburschen zur Arbeit an.
Der Haupttrakt des Schlosses hatte eine schöne Eingangshalle mit einem Bodenmosaik. Die kühlen weißen Wände wiesen Säulen und Nischen auf. Eine breite Treppe führte hoch in die zwei oberen Geschosse.
»Wir haben hier dreißig Zimmer«, sagte Ricardo. »Für dich habe ich zwei Räume herrichten lassen. Sie liegen ein Stockwerk höher als meine.«
Francesca hatte Ricardo gesagt, dass sie vor der Hochzeit keinen Sex wollte. Sie war so erzogen. Zudem spukten die Gerüchte, dass der Marchese ein Werwolf sei, ihr im Kopf herum. Sie wollte nicht mit ihm schlafen, ehe dieser Punkt geklärt war und die Ehe geschlossen. Ricardo führte sie durch das Schloss. Früher einmal hatten hier viel mehr Menschen gewohnt. Jetzt wurde nur noch ein Restbetrieb aufrechterhalten.
Es gab eine große Schlossbibliothek mit alten Folianten und neuen, teils wissenschaftlichen Werken. Ricardo las viel. Ein großes Regal, beidseitig bestellt, war okkulten und parapsychologischen Werken vorbehalten.
»Ars niger et dammnatus«, las Francescalaut die Titel. Die Schwarze und verdammte Kunst. »Mystische Stätten. Geistererscheinungen. Okkulte Phänomene.«
Über Werwölfe und Vampire fand sie seltsamerweise keine Bücher. Doch es lagen populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Zeitschriften herum, in denen auch Artikel über diese Themen standen. Diese Magazine und Fachblätter beschäftigten sich mit Okkultismus, Mystik und den Grenzbereichen der Wissenschaften. Francesca hob eine Zeitschrift auf, deren Titelseite eine UFO zeigte.
»Wir sind nicht das einzige intelligente Leben im Universum«, sagte Ricardo. »Und es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit es sich träumen lässt. Es gibt Wesen und Schattenwesen, Kreaturen der Nacht.«
Francesca überlief ein kühler Schauer.
»Und was bist du?«, fragte sie keck.
»Der Mann, der dich liebt.«
Als er sie küsste, in einer hellen Bahn Sonnenlicht stehend, nachdem der Vollmond herum war, glaubte Francesca fest, dass alles gut werden würde. Ricardo führte sie weiter herum, in die Gewölbe des Schlosses. Er hatte ein starkes Interesse an okkulten und
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