Die Werwolfbraut (German Edition)
ihm ins Bett legen.«
»Das sagst du. Ricardo ist ganz anders, als ihr alle ihn seht. Ich habe den guten und weichen Kern in ihm erkannt.«
»Pah, diese Bestie! Wenn nur ein Bruchteil von dem stimmt, was über ihn gemunkelt wird, ist er ein Ungeheuer. Ich kann dich nur dringend vor ihm warnen.«
Francesca stand auf und zog einen Ring aus der Tasche. Es war der Ring von der heimlichen Verlobung, den Mario ihr geschenkt hatte. Sie legte ihn auf die Schulbank.
»Hier hast du deinen Ring wieder, Mario. Es tut mir sehr leid, dass es so gekommen ist. Doch gegen meine Gefühle kann ich nicht. Dich habe ich nie wirklich geliebt, das weiß ich jetzt. Aber Ricardo, den liebe ich, ganz egal, was er ist. – Verzeih mir, wenn du kannst, jetzt oder später. Ich wünsche dir alles Gute. Lass uns bitte ohne eine hässliche Szene auseinandergehen. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, die Erinnerung daran will ich mir nicht verderben.«
Mario war fassungslos. Für ihn brach eine Welt zusammen. Er konnte nicht ruhig bleiben.
Als Francesca ging, sprang er auf und schrie: »Das wirst du bereuen, du Flittchen! Mit dem Werwolf-Grafen wirst du noch dein blaues Wunder erleben. Hoffentlich beißt er dir die Kehle durch.«
Ohne ein weiteres Wort und ohne Mario noch einen Blick zu gönnen verließ Francesca das Klassenzimmer. Mario setzte sich wieder an die Schulbank, wie ein zu groß geratener Schüler. Durchs Fenster mit den in Vierecke unterteilten Scheiben sah er Francesca draußen auf der Straße. Ihre Schönheit, die Art, wie sie ging, schnitt ihm tief ins Herz. Nie wieder würde er sie in den Armen halten, nie wieder ihre Küsse und ihren Atem spüren.
Er verfluchte di Lampedusa. In seinem Herzen wühlte der Schmerz.
»Der Kerl muss sie verhext haben!«, stöhnte der Lehrer. »Das soll er bereuen. Ich bringe ihn um, den verdammten Werwolf.«
Mario Sciaso war ein heißblütiger Süditaliener. Er raste vor Kummer und Zorn. Am folgenden Tag fuhr Ricardo di Lampedusa mit seiner Luxuslimousine beim Haus der Montalbas vor. Francesca wartete schon. Sie hatte ihr Gepäck schon bereit. Drei Koffer und ein Pappkarton waren es. Ricardo küsste sie auf den Mund und half ihr beim Einladen des Gepäcks. Von ihrer Familie hatte Francesca sich schon verabschiedet.
Sie stieg ein. Ricardo schloss die Tür. Eine Staubwolke zurücklassend fuhr die Limousine in Richtung Schloss. Auf unerklärliche Weise, Francesca hatte außer zu ihrer Familie geschwiegen, hatte sich im Dorf herumgesprochen, dass sie ins Schloss ziehen würde. Ein paar Dorfbewohner, hauptsächlich Frauen, standen an der Straße und gafften, als die beiden vorbeifuhren.
Zwei alte Frauen schüttelten den Kopf und bekreuzigten sich. Zur Sicherheit vollführten sie noch das Zeichen gegen den Bösen Blick, indem sie mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger auf den Boden deuteten.
»Sie zieht zu dem Werwolf ins Schloss«, sagte die eine alte Frau fassungslos. »Das blühende, junge Leben. Wie grausam wird er es auslöschen. Das wird sie nicht überleben.«
*
Lautlos öffnete sich das Tor des Castillos. Die Zugbrücke war heruntergelassen. Die Limousine rollte in den Innenhof. Als Ricardo hupte, erschien die Dienerschaft, um Francescas Gepäck auszuladen und sie zu begrüßen. Das war eine schöne Geste von Ricardo. So konnte Francesca gleich die Schlossbewohner kennenlernen. Vier waren es nur: eine alte Beschließerin, bucklig und krumm, die Ricardo schon als Kindermädchen gedient hatte. Der Hausbursche, ein grober, wenig intelligenter Bursche. Er war seinem Herrn treu ergeben und lächelte Francesca dümmlich an.
Außerdem waren zwei Dienstmädchen da, Geschwister von Mitte Zwanzig. Sie hatten zu Kochen und zu Putzen und waren damit den ganzen Tag beschäftigt. Die Beschließerin hieß Filomena, der Hausbursche Adolfo und die Geschwister Claudia und Rosa. Beide waren plump gebaut, Mitte Zwanzig und hatten einen Anflug von Damenbart auf der Oberlippe.
Francesca merkte sich von den Bediensteten nur die Vornamen. Sie begrüßten sie freundlich, ihr Gepäck wurde ins Schloss getragen. Die junge Frau schaute sich um. Zum ersten Mal hatte sie die Gelegenheit, das Kastell der Lampedusas von innen zu sehen.
Es war ein eigenartiger Bau mit vier runden Ecktürmen, wie bei einer Burg. Wuchtig ragten die Mauern empor. In früheren Zeiten hatten sie feindlichen Eroberern getrotzt. Jetzt bargen sie düstere Geheimnisse und schirmten sie von der Außenwelt ab. Oder – konnten sie
Weitere Kostenlose Bücher