Die Werwolfbraut (German Edition)
Besen, dachte Francesca. Der abgenagte Menschenknochen im Verlies in den Schlossgewölben fiel ihr ein. Zum ersten Mal, seit sie ihn gesehen hatte und in Ohnmacht gefallen war, verspürte sie wieder schreckliche Angst.
Beim Abendessen, das sie allein einnahm, brachte Francesca kaum einen Bissen hinunter, obwohl es lecker zubereitet war. Braten in Weinsauce, dazu Gemüse und Beilagen, frisches Obst. Die junge Frau hob das Rotweinglas. Sie war so fahrig, dass sie es umwarf. Wir Blut sah der Wein aus, als er das weiße Tischtuch färbte. Das Dienstmädchen eilte herbei und beseitigte die kleine Panne.
Sie wollte den Tisch neu decken. Francesca wehrte ab.
»Danke, ich kann nichts mehr essen. Ich muss an die frische Luft.«
»Aber Signora, Sie haben doch kaum einen Bissen...«
»Ich habe keinen Appetit.«
Francesca schloss die Tür fester, als sie gewollt hatte. Sie lief durch die langen, düsteren Schlosskorridore und verließ das Schloss durch den Hintereingang. Drinnen war die Luft für sie wie zum Ersticken. Im Garten atmete Francesca erst einmal tief durch. Bleich goss der Vollmond sein Licht über das Kastell. Der verwahrlose Garten wirkte wie verzaubert.
Die Büsche wucherten ungestutzt, das Unkraut war hochgeschossen. Die Nutzpflanzen waren verwachsen, weil sie nicht mehr gepflegt wurden. Auf den Bäumen wuchsen Misteln und andere Schmarotzerpflanzen. Die Pfade im Garten waren kaum noch zu finden. Tiefdunkel waren die Schatten.
Francesca, im schulterfreien Kleid, das Ricardo ihr in Rom gekauft hatte, schlug die Arme vor der Brust zusammen und ging fröstelnd durch den unkrautüberwucherten Garten. Etwas zog ihren Blick an. Sie schaute an der Schlossmauer hoch auf das Fenster von Ricardos Schlafkammer.
Zum ersten Mal sah sie es ohne die geschlossenen Fensterläden deutlich im bleichen Mondlicht. Das Fenster war mit armdicken Gitterstäben versehen, abgesichert wie das einer Zuchthauszelle für Schwerverbrecher. Francesca erstarrte. Für wen, um alles in der Welt, braucht man so starke Gitterstäbe, dachte sie? Um ein normales menschliches Wesen festzuhalten jedenfalls nicht.
4. Kapitel
Vor dem Schloss, an der Rückseite am Berghang, ertönte ein schauriges Wolfsgeheul. Es verstummte kurz, dann setzte es an einer anderen Stelle wieder ein. Mindestens zwei Wölfe waren es, die da heulten. Plötzlich fühlte Francesca sich innerhalb der Schlossmauern nicht mehr sicher. Sie wollte zurück ins Schloss. Doch da raschelte es bei der Mauer unter den Bäumen. Eine klobige Gestalt schälte sich aus dem Schatten und kam durch das hochgeschossene Unkraut und die Brennnesseln auf die junge Frau zu.
Francesca erstarrte. Sie wollte weglaufen, war aber wie gelähmt. Jetzt bedauerte sie, dass sie das silberne Messer Mario Sciasos nicht bei sich trug. Obwohl sie damit gegen einen Werwolf kaum eine Chance hatte, war es besser als nichts. Die klobige Gestalt erreichte sie und fasste sie am Arm.
»Sie sollten jetzt nicht mehr draußen sein, Signorina. Gestatten Sie, dass ich Sie zu Ihren Gemächern bringe.«
Es war Adolfo, der Hausbursche. Francesca war so erleichtert, dass sie ihn hätte küssen können. Er führte sie zur Tür und brachte sie in den zweiten Stock hinauf. In dieser Nacht schloss Francesca kein Auge. Immer wieder erscholl das Wolfsgeheul vor dem Schloss. Und vom Schloss, was viel schlimmer war, wurde zurückgeheult. Und zwar, Francesca hätte es geschworen, von der Kammer aus, in der Ricardo eingesperrt war.
Ricardo, der Mann, den sie liebte, ihr Verlobter. Bis Mitternacht ging das. Dann hörte Francesca ein Krachen. Es wiederholte sich nicht. Auch das Wolfsgeheul hörte auf. Doch es prasselte unten im Garten, als ob ein klobiger Körper durch das hohe Unkraut rennen würde. Danach herrschte Ruhe. Francesca war aber so aufgewühlt, dass sie keine Ruhe mehr fand.
Was, fragte sie sich, war geschehen? Sie wagte nicht, ihr Zimmer zu verlassen. Erst als der Morgen graute fiel sie für kurze Zeit in einen tiefen Schlaf.
*
Er rannte den steinigen Hang hinauf. Er hatte sich nicht mehr zurückhalten können. Der Trieb war bei ihm durchgebrochen. Es war herrlich, sich die beengenden Kleider vom Körper zu reißen, im Licht des Vollmonds zu baden, die Kraft und die Wildheit zu spüren, die es in ihm weckte. Seine Zellen hatten sich verändert. Die Knochen waren klobig und doppelt so dick geworden.
Er hatte einen haarigen, kantigen Schädel mit spitzen Wolfsohren, glühenden Augen und einem
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