Die Werwolfbraut (German Edition)
Ricardo, der im Moment vor Schreck gelähmt war.
»Bevor du mich tötest, musst du erst mich umbringen, Mario!«
Schützend breitete Francesca die Arme aus. Mario Sciasos Gesicht verzerrte sich noch mehr zu einer Grimasse des Hasses. Er holte zum tödlichen Stoß aus. Im nächsten Moment musste sich das Messer in Francescas Brust bohren.
Aber Mario stach nicht zu. Er konnte es nicht. Eine innere Barriere hemmte ihn, einen Mord zu begehen. Er zitterte am ganzen Körper. Auch Ricardo di Lampedusa hätte er jetzt nicht mehr erstechen können. Noch einmal zuckte seine Hand. Doch es war ein Aufbegehren, das bereits im Ansatz erstickte.
Mario warf das Messer weg. Seine Unterlippe zitterte. Plötzlich stürzten ihm dicke Tränen aus den Augen. Er war völlig durcheinander, innerlich aufgewühlt.
»Francesca, warum hast du mich verlassen?«, fragte er mit völlig veränderter Stimme.
Dann schlug er die Hände vor das Gesicht, als ob er sich seiner Tränen schämte, und rannte davon. Mit offenen Augen wieder lief er davon von der Stätte der Tat, die er nicht hatte begehen können. Ricardo bändigte sein unruhiges Pferd.
»Wir müssen ins Schloss«, sagte er mit unnatürlich harter Stimme, als ob er den Zwischenfall mit Mario Sciaso schon fast vergessen hätte. »Mir ist es nicht gut. Ich muss mich in meiner Kammer hinlegen. Diese Zustände habe ich manchmal.«
»Mario hätte dich fast erstochen«, sagte Francesca.
»Ja, ja.«
Das hörte sich an, als wollte Ricardo sagen: Ich habe andere Sorgen. Er öffnete die Tür in dem wuchtigen Schlosstor. Francesca steckte das silberne Messer ein. Der ungeschlachte Knecht wartete drinnen und übernahm die Pferde. Er führte sie in den Stall. Ricardo stöhnte und taumelte. Francesca stützte ihn und führte ihn ins Hauptgebäude, wo er sich überstürzt von ihr verabschiedete.
Er rannte fast zu seinem Gemächern, denn eben versank die Sonne hinter dem Horizont. Francesca wollte von ihm eine Erklärung für sein Verhalten und außerdem wissen, ob sie ihn an dem Abend noch einmal sehen würde. Als sie Ricardos Schlafzimmer erreichte, hörte sie, wie er von innen die Tür abschloss. Sie hatte drei Schlösser, sah die junge Frau jetzt. Wie es aussah, war die Tür sehr massiv.
Francesca klopfte.
»Ricardo, ich muss mit dir sprechen. Mach auf. Ich bin es, Francesca.«
»Geh weg.«
Seine Stimme war kaum zu erkennen. Francesca hörte ein Stöhnen, ein Heulen und Winseln hinter der Tür. Was dachte, um Gotteswillen befindet sich hinter dieser Tür? Als sie abermals klopfte und rief, antwortete Ricardo ihr nicht mehr. Er muss mich doch hören, dachte die junge Frau. Was ist das?
»Signorina Montalba.« Die alte Filomena sprach sie an. Sie stand hinter Francesca im Korridor. »Kommen Sie mit, lassen Sie ihn allein. Der Marchese hat manchmal diesen Zustand. Es ist eine seltene Krankheit, die ihn intervallartig überfällt. Dann braucht er völlige Dunkelheit und Ruhe, um sich zu regenerieren.«
»Wann überkommt ihn die Krankheit? Immer bei Vollmond?«
»Der Vollmond spielt dabei eine Rolle«, antwortete die bucklige alte Frau. »Sie wissen vielleicht, dass der menschliche Körper zu zwei Dritteln aus Wasser besteht. Der Mond beeinflusst das Wasser. Ricardos Spurenelemente in seinem Körper geraten durcheinander, sehr laienhaft ausgedrückt, wenn er den Zustand hat. Dann tobt er, aber es bessert sich bald. Glauben Sie mir, wir haben alles im Griff.«
Francesca schaute die alte Frau an. Sie sah, dass die Tasche ihrer Kittelschürze sich ausbeulte und erkannte die Umrisse von drei großen Schlüsseln. Hatte Ricardo ihr vielleicht die Schlüssel für die drei Schlösser durch eine Luke ins Nebenzimmer gereicht, damit er selbst nicht mehr aufsperren konnte? Hatte er sich mit letzter Kraft selbst eingeschlossen? Doch das letzte Mal in der letzten Vollmondnacht bei der Klosterruine, als er die Wölfe vertrieb, war er ein Mensch gewesen.
Der jungen Frau fiel ein, dass sie das Fenster seiner Schlafkammer vom Garten hinter dem Schloss immer mit Läden verschlossen gesehen hatte. Filomena ergriff ihre Hand und zog sie weg.
»Kommen Sie, das Abendessen wartet. Lassen Sie ihn ganz in Ruhe. Morgen bei Tagesanbruch geht es ihm wieder besser. Wenn er einen solchen Anfall hat, dauert er immer drei oder vier Nächte. Tagsüber geht es ihm soweit ganz gut. Es ist eine besondere Art von Somnambulismus.«
Das war Schlafwandlerei. Wenn Ricardo nur ein harmloser Schlafwandler ist, fresse ich einen
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