Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
Vom Netzwerk:
sagte Lhatsen. „Aber hier vergeht die Zeit anders. Schließlich befinden wir uns im Zentrum des Universums. Bei der Umrundung wird einem bewusst, dass man selbst Teil des Ganzen ist.“
    „Haben sie auch schon mal den Berg so umrundet?“, fragte Laima.
    „Dreizehn Mal. Damit werden die Sünden eines Lebens gelöscht. Hundertundacht Umrundungen führen zur Erleuchtung.“
    „Und hat es was gebracht?“, fragte Sam.
    „Man erfährt sich als ein Teil von allem. Je länger man pilgert, umso mehr fällt jede Anhaftung ab. Man vereinigt sich wieder mit allem. Man wird selbst zu Shiva, der auf dem Berg sitzt und sich das Universum erträumt. Deswegen sehen wir den Kailash als den heiligen Berg Meru an. Er ist das Zentrum aller Dinge, in dem der Pilger mit allem verschmilzt.“
    „Ist das Erleuchtung?“
    „Manchmal ist der Weg das Ziel. Ob dreizehn oder hundertacht Umrundungen spielt da keine Rolle.“
    Sie überholten die Pilger und kamen dem Berge immer näher. Laima konnte gut mithalten, auch wenn ständige Übelkeit sie plagte.
    „Warum gehen wir nicht gerade auf den Pass zu?“, sagte Sam. „Hier ist doch nichts in dieser Einöde. Der Weg schlängelt sich dahin. Wenn wir gerade gehen würden, wären wir schon längst da!“
    „Ist ihnen noch nie aufgefallen“, sagte von Stein, „dass alte Handelsstraßen nie gerade verlaufen? Das hängt nicht von der geologischen Beschaffenheit des Geländes ab.“
    „Wie meinen sie das?“
    „Sie folgen den geomantischen Feldern. Lasttiere wie die Yaks dort vorn haben diese Wege geschaffen. Tiere haben einen besonderen Sinn. Wie Tauben zum Beispiel, die sich ähnlich Flugzeugen am Magnetfeld der Erde orientieren. Die alten Routen folgen nie dem kürzesten Weg.“
    „Und was haben sie davon?“
    „Sie bewegen sich auf Wasseradern.“
    „Und mit welchem Zweck?“
    „Es geht sich leichter auf ihnen. Wasseradern fördern die Aktivität. Andersherum werden sie sich auf ihnen schlecht ausruhen. Deswegen legt man eine Rast immer abseits des Weges ein. Und wie der alte Mönch sagte, scheint das erdmagnetische Feld hier sein Zentrum zu haben.“
    „Also ich weiß nicht. Erdmagnetismus. Achse des Universums.“
    „Zumindest ist es doch ein seltsamer Zufall“, sagte Professor Carlsen, „dass sich genau auf der anderen Seite der Erdkugel eine weitere Hochkultur entwickelt hat. Nämlich auf der Osterinsel.“
    „Sie wollen sagen, dass dieses Feld einer Ordnung folgt? Wie mit einem Nord- und Südpol?“
    „An einer Karte dieses Feldes arbeite ich. Ja. Auf den Ley-Linien, die das magnetische Gitternetz der Erde bilden, liegen Stonehenge, die Kathedrale von Chartres und das Bermudadreieck, um nur einige der bekanntesten mystischen Stätten zu nennen.“
    „Mir ist das alles zu viel. Dieses ganze Gequatsche von andren Welten!“
    „Nach einem Sprichwort“, sagte Lhatsen, „existieren auf einem Haar Buddhas mehr Welten, als wir Sterne am Himmel sehen können.“
     
    Sie stiegen weiter in Richtung Pass. Eine Gruppe Touristen kam ihnen auf Pferden entgegen.
    „Die sehen aber gar nicht glücklich aus!“, sagte Schüssli.
    „Nicht jedem sind die Götter wohlwollend gesinnt“, sagte Lhatsen. „Wer nicht in Demut kommt, dem wird sein Hochmut genommen.“
    „Die Götter sind also nicht immer nur die Guten?“
    „Die Befreiung von Hochmut ist ein Geschenk!“
    „Warum nehmen wir uns keine Pferde?“, sagte Schüssli.
    „Dann geht doch der Verdienst für unsere Umrundung an die Pferde“, sagte Slinkssons.
    „Wir werden nach dem Pass die Kora verlassen und uns an den Aufstieg machen“, sagte Lhatsen.
    „Ich dachte, der Berg sei heilig“, sagte von Stein.
    „So ist es. Aber es gibt immer auch eine Ausnahme. In dieser Welt wie in der Welt der Götter. Wenn die Götter es wollen, werden wir Hilfe finden.“
     
    Immer höher schlängelte sich der schmale Pfad zwischen den grauen Hängen. Dann erreichten sie den Pass. Bunte Gebetsfahnen spannten sich in langen Reihen und flatterten im Wind.
    „Der Dolma La Pass“, sagte Lhatsen.
    Sie setzten sich, um Rast zu machen.
    Lhatsen zündete Räucherstäbchen an. Er hielt sie zwischen seinen Händen und verbeugte sich dabei in alle vier Himmelsrichtungen.
    „Was macht er jetzt schon wieder?“, sagte Sam.
    „Ich nehme an, er bittet um unseren Schutz“, sagte Laima.
    „Glauben sie, dass wir hier im Zentrum des Universums sind?“, fragte er.
    „Zumindest sehen es die Buddhisten so. Für sie ist es ihr heiliger Berg Meru,

Weitere Kostenlose Bücher