Die Wesen (German Edition)
willkommene Ablenkung darin, ihnen fleißig zur Hand zu gehen.
Nach einigem Hin und Her über das Tosen des Stroms hinweg wurde man sich einig, dass der Versuch, Sam und den Professor zurückzuholen, nicht über die Boote, sondern über die Seilwinde stattfinden sollte. Allerdings blieben dann die Boote auf der andren Seite zurück. Eine Alternative war, den Professor an der Winde herüberzuziehen. Dann bestand nur für Sam die Gefahr, mit den Booten umzukippen.
Also band Sam sich und den Professor an die Winde. Sie stiegen in die Schlauchboote. Sam hangelte sich und den Professor, der flach in seinem Boot lag, über den Fluss.
Bis zur Mitte ging es zügig vorwärts. Dann ließen seine Kräfte nach. Sam sammelte sich ein letztes Mal und alle feuerten ihn an.
„Sam, Sam, Sam ...“
Sie griffen nach den Booten, sobald sie in Reichweite waren. Dann war es geschafft.
Überglücklich fiel Sam an Land. Auch der Professor stieg, mit etwas Hilfe, aus.
„Jetzt nur noch an der Leine ziehen“, stöhnte Sam.
Slinkssons folgte seinen Anweisungen. Der Knoten der Leine löste sich auf der anderen Seite des Flusses. Das Seil glitt ins Wasser und ließ sich problemlos einholen. Damit war die Bergung beendet.
Die Fische, die Sam zuvor gefangen hatte, waren ausgenommen und brutzelten mit einem Zweig Rosmarin im Bauch auf den Spießen über dem Feuer. Über ihnen funkelte der Sternenhimmel.
„Seht was wir gefunden haben“, sagte Professor Carlsen und hielt eine Flasche Whiskey in die Höhe. „Also, mein lieber Gerold von Stein, ein Prosit auf sie als Proviantmeister und vor allem als Erfinder, der es möglich gemacht hat, dass eine Flasche dieses flüssigen Goldes einen Sturz aus wer weiß wie vielen Metern Höhe unbeschadet überlebt hat. Ihnen gebührt damit der erste Schluck. Bitte! Auf ihr Wohl!“
Er reichte von Stein die Flasche. Alle waren bester Dinge.
Auch wenn sie in einer Steinwüste gefangen waren, zwischen gefährlichen Bergen, mitten in einem fremden Land, so löste gerade deswegen diese Flasche am Feuer eine so ungekannte Freude aus, dachte Laima. Und obwohl sie selbst nicht trank, wirkte die Ausgelassenheit der andren auf sie ebenso ansteckend.
Der Fisch nach Sams Rezept war außergewöhnlich und schmeckte an der frischen Luft und nach der übernatürlichen Anstrengung, die sie alle hinter sich hatten, doppelt und dreifach gut. Es war sogar nach der schmalen Kost der letzten Tage das Beste, was Laima je gegessen hatte. Danach war sie einfach nur glücklich. Glücklich hier zu sein, mit dem, was sie hatte und alldem, was sie nicht hatte.
Es gab tausend Dinge, um die sie sich hätte Sorgen machen können und vielleicht machen müssen in ihrer Lage, aber sie fühlte sich einfach leicht und frei. Ihr Kopf war völlig leer. Sie lag auf dem Rücken, ein warmes Fell unter sich, die Füße am Feuer. Mit einem vollen Bauch starrte sie in die Sterne. Eine Sternschnuppe blitzte auf. Sie war einfach da. Alles war jetzt einfach da. Sie lauschte dem Gelächter der Männer. Sam erzählte Witze und Anekdoten von seiner Frau und den zehn Kindern, die er in Louisiana hatte. Das unbestimmte Bild von Chang stieg in ihr auf wie ein Wohlgefühl. Sie schloss die Augen und sah trotzdem die Sterne. Dieser Moment war stark und klar.
Es war das laute Lachen der Anderen, das sie aufschreckte. Thian legte gerade etwas Brennholz nach. Sam hatte einen besonders guten Witz zum Besten gegeben, denn Schüssli und der Professor konnten sich gar nicht mehr beruhigen. Laima hatte völlig den Anschluss an die Unterhaltung verloren. Sie musste eingenickt sein.
„Zum Thema Erscheinungen“, sagte von Stein. „Erscheinungen waren genau das, was mich überhaupt gereizt hat, damals die ersten Geräte zu entwickeln. Aber ich kann euch sagen, Späße sollte man damit nicht treiben. Es war auch mehr ein Zufall, der dazu führte.“
Alle beugten sich näher ans Feuer, um von Steins Ausführungen zu folgen.
„Es war kurz nach der Wende. Nach dem Fall der Mauer wurden die enteigneten, oder wie es hieß verstaatlichten, Güter an ihre Eigentümer zurückgegeben. So erbte die Familie meines damaligen Freundes Martin eine alte Villa. Sein Vater hatte dort nie gelebt. Er war im Westen aufgewachsen und kannte die Geschichten und Fotos nur von Martins Mutter.
Ihr Vater war in der Kriegsgefangenschaft gestorben, hatte die Familie aber mit einem seiner letzten Briefe angewiesen, die Ostzone zu verlassen. So war ihre Mutter mit den Kindern in den
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