Die widerspenstige Lady
waren!“, rief nun Susan. „Kennengelernt haben wir uns auf einem Postschiff, das von Ägypten nach England segelte. Annabell war so reizend zu mir. Ich begleitete damals eine junge Dame zurück nach London. Sie war schrecklich vernarrt in einen gewissen Gentleman. Sie hat mir wirklich das Leben schwer gemacht. Dieser Wüstling wandte seine Aufmerksamkeit dann Annabell zu, aber die ist im Handumdrehen mit ihm fertig geworden.“
„Tatsächlich?“, fragte Hugo und trat mit Elizabeth zu den beiden Freundinnen. „Und darf ich so keck sein zu fragen, wie sie das angestellt hat?“
Annabell schenkte Susan einen warnenden Blick. Eilig sagte sie dann: „Oh, das war nun wirklich kein Kunststück.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, um die Angelegenheit herunterzuspielen.
Doch so leicht war Susan nicht von der Fährte zu locken. „Das stimmt doch gar nicht“, widersprach sie. „Ich durfte mit eigenen Augen ansehen, wie Annabell den Schuft über die Reling und in den Nil geschubst hat. Der Fluss ist wirklich schlammig und dreckig, müssen Sie wissen.“ Sie lachte. „Als man ihn wieder herausfischte, war er nicht eben bester Stimmung. Aber was sollte er schon tun?“
„Faszinierend.“ In Hugos Augen schien es aufzuleuchten. „War der Kerl aufdringlich geworden?“
„Annabell, ich bin entsetzt“, unterbrach Timothy, bevor seine Stiefmutter etwas erwidern konnte. „Das ist ja ein wirklich unglaubliches Benehmen deinerseits. Es wird doch wohl weniger dramatische Möglichkeiten gegeben haben, den Mann in seine Schranken zu weisen. Gab es denn weit und breit keinen englischen Gentleman, der dich hätte beschützen können?“
„Ich mag ja nur eine Frau sein“, gab Annabell scharf zurück. „Was allerdings nicht bedeutet, ich wäre ein schwaches Geschöpf, das sich nicht selbst zu helfen wüsste. Derartige Mythen werden allerdings gern von den Männern verbreitet, damit wir uns weiter unterdrücken lassen.“
„Sie sind ja eine echte Amazone“, bemerkte nun Elizabeth.
Ihr Ton erinnerte Annabell an das Schnurren einer zufriedenen Katze. Lady Mainwaring verkörperte die fleischgewordene weibliche Verführung. Sie trug ein Kleid nach der neusten Londoner Mode, mit einer sehr hohen Taille und einem dafür umso tieferen Ausschnitt. Es war aus schwarzem Satin gefertigt, was ihre vornehme Blässe betonte. Das spektakuläre Diamantcollier tat ein Übriges. Ihr herzförmiges Gesicht wurde von kunstvoll frisierten goldblonden Locken umrahmt, die Augen waren dunkelblau und ausdrucksstark. Mit der schmalen Taille, den runden Hüften und dem üppigen Dekolleté war sie eine bemerkenswerte Schönheit.
Kein Wunder also, dass Hugo sie erst zu seiner Geliebten gemacht hatte und nun zur Frau nehmen wollte. Zum ersten Mal in ihrem Leben befielen Annabell ernsthafte Selbstzweifel. Bisher war sie immer stolz auf ihre Größe und ihre Figur gewesen. Obwohl sie an sich am meisten ihren messerscharfen Verstand schätzte. Jetzt allerdings beneidete sie Elizabeth, die jeden Mann allein mit ihrem Äußeren vollkommen zu verzaubern vermochte.
Und dann entdeckte sie den sehr geschmackvollen Verlobungsring an ihrem Finger: ein schöner Opal, eingefasst von Brillanten. Nicht zu groß, nicht zu klein. Der Ring wirkte nicht wie ein altes Erbstück. Bestimmt hatte Hugo ihn erst kürzlich erstanden. Annabell schluckte.
„Oh, ja“, bestätigte Hugo gerade. „Lady Fenwick-Clyde hat wirklich sehr viel mit den Kriegerinnen der griechischen Sage gemein.“
Bei diesen Worten erwachte Annabell aus ihren Tagträumen. Rasch wandte sie den Blick von der Frau an seiner Seite ab. Warum sollte sie sich auch mit deren Schönheit quälen?
„Eine Frau besitzt viele Waffen, um von einem Mann zu bekommen, was sie will“, sagte Annabell. „Ich bevorzuge allerdings meine hart erkämpfte Unabhängigkeit.“
Elizabeth verengte die Augen. „Ach, und andere Frauen führen dann wohl ein Leben in Unfreiheit?“
„Eine Ehefrau ist in unserer Gesellschaft ihrem Gemahl vollkommen ausgeliefert“, erklärte Annabell. „Seit mein Gatte starb, kann ich endlich tun und lassen, was mir beliebt.“ Rasch schenkte sie Timothy einen entschuldigenden Blick. „Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch.“
Der war zwar erblasst, schüttelte aber den Kopf. „Keineswegs.“
„Das Dinner ist serviert“, verkündete der Butler in diesem Augenblick dankenswerterweise.
Hugo bot Juliet den Arm, während Timothy Lady Mainwaring und Annabell zum
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