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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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Glücklicherweise war ihm dabei nichts passiert, aber Stürze stellten für Senioren generell und für Parkinson-Patienten im Speziellen eine ernsthafte Gefahr dar. Finch war zwar erst Ende sechzig und noch zu jung für extreme Alterserscheinungen, doch die Erkrankung schien viel schneller fortzuschreiten, als Zee erwartet hatte.
    Daher folgte ihm Zee durch das ganze Haus und begleitete ihn überallhin – in die Küche, ins Schlafzimmer, ins Bad. Sie versuchte, seine Privatsphäre etwas zu wahren, achtete aber gleichzeitig darauf, dass er nicht einfach aufstand und herumlief. Sie ließ die Tür immer einen Spalt offen stehen, damit sie ihn hörte, wenn er sie brauchte. »Lass mich«, sagte er oft.
    »Tut mir leid«, antwortete sie. »Ich weiß, wie unangenehm dir das ist.«
    Sie versuchte ihm zu erklären, was ihr die Krankenschwestern, die einmal die Woche kamen, eingeschärft hatten: »Es ist wichtig, dass er sauber bleibt. Es ist wichtig, dass er sich jeden Tag anzieht.« Den ersten Teil verstand sie, aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sie dem zweiten Teil zustimmte. Manchmal fand sie es einfach zu schwierig. Er wollte nicht. Lieber wäre er in Schlafanzug und Morgenmantel geblieben, und Zee wäre das nur recht gewesen.
    Doch Jessina suchte ihm jeden Morgen frohgemut etwas zum Anziehen heraus. Sie kleidete ihn an wie ein Püppchen, in kräftigen Farbkombinationen, die Finch für sich selbst niemals gewählt hätte. Jessina schien eine echte Zuneigung zu ihm gefasst zu haben.
    Zee ließ Finch nur selten allein, nur dann, wenn sie es mit Jessina abgesprochen hatte, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten gerne aushalf. Jessina war alleinerziehende Mutter eines Sohnes im Teenageralter und mochte ihren Sohn nicht allzu lange allein lassen. Von der Turner Street konnte sie ihr Haus beinahe sehen, aber die Wohnviertel waren völlig unterschiedlich, und Danny konnte leicht in Schwierigkeiten geraten, wenn ihn niemand beaufsichtigte.
    Daher waren Finch und Zee den größten Teil der Zeit alleine. Er wollte nicht mehr hinausgehen, wollte nicht einmal mehr mit dem Auto eine Spazierfahrt unternehmen. So stark er auf das Medikament auch reagiert hatte, Zee dachte manchmal bei sich, dass ihr seine Hawthorne-Halluzinationen lieber waren als die leise Depression, die er derzeit durchzumachen schien.
    Für ihre eigene geistige Gesundheit musste Zee jeden Tag aus dem Haus. Sie nutzte die beiden Termine, wenn Jessina bei Finch war, zur Flucht. In Salem konnte man wunderbar spazieren. Manchmal ging sie hinunter zum Hafen oder zum Willows-Park, um in der Spielhalle eine Partie Skeeball zu spielen, was sie als Kind immer gerne gemacht hatte. Manchmal traf sie sich mit Melville auf einen Kaffee oder ging zum Garten der Ropes Mansion. Das war mehr ihre Stadt, als Boston es jemals gewesen war. Die Vielfalt an Menschen und Orten passte zu jeder Stimmung, die sie diesen Sommer durchmachte. Irgendwie fühlte sie sich hier einfach besser.
    Gelegentlich konnte sie Jessina für mehr als nur ein paar Stunden beanspruchen, und dann entfloh sie länger, meistens an den Strand oder auf Winter Island. Wenn sie zurückkam, fand sie Jessina und Finch oft im Fernsehzimmer, wo sie den Lifetime Channel schauten. Es passte gar nicht zu ihrem Vater, dass er überhaupt fernsah, ganz zu schweigen von diesen Frauendramen. Trotzdem schien es zu den wenigen Dingen zu gehören, die sein Interesse weckten. Er saß da, den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet, seine Reaktionen waren intensiv und passten zeitlich genau zu der Geschichte, als würde sich das ganze Drama nicht auf einem kleinen Monitor entfalten, sondern hier vor seinen Augen, mitten in seinem Fernsehzimmer.
    Zee war schon dazu übergegangen, in Maureens Zimmer zu schlafen, bevor sie mit Hawk zusammenkam. Das »Sundowning«, der Erregungszustand, der am Ende des Tages eintrat, wurde schlimmer bei Finch, und es zeigten sich mittlerweile auch die Halluzinationen, die eigentlich für Alzheimerpatienten typisch waren – ein Zeichen der Übergangssymptome, auf die sie auf ärztliche Anweisung hin achten sollten. Nachdem die Sonne untergegangen war, wurde Finch immer erregter und verwirrter. Oft wanderte er herum und weckte Zee, so dass sie nicht wieder einschlafen konnte.
    Doch dazu kam es nicht, wenn sie oben schlief. Finch konnte die Treppe nicht mehr hochsteigen, und er würde es auch nicht versuchen. Trotzdem machte sie sich Sorgen, dass er aufwachte, und sah alle paar Stunden nach ihm. Weil

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