Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
Vom Netzwerk:
verbreitete sich rasch den ganzen Hals hinunter.

26
    Noch bevor sich das Unwetter am Horizont zeigte, schlug ein Blitz in den Mast einer vertäuten Hunter 31 ein, die nach Norden zur Spitze von Cape Ann und in den Rockport Harbor gefahren war. Glücklicherweise war zu der Zeit niemand an Bord. Der Blitz fuhr durch den Aluminiummast hinunter, und da er keine Verbindung zur Erde fand, drang er zur Seite hinaus und brachte den Schiffsrumpf zum Platzen.
    »Ach du Scheiße«, sagte jemand. »Das Boot da ist gerade explodiert.«
    Hawk sauste die Takelage der Friendship hinunter, als säße er auf einer Rutsche.
    »Ein Blitz«, sagte er.
    Niemand stimmte ihm zu. Die Sonne, die noch vor wenigen Minuten so kräftig geschienen hatte, war nun hinter einer Wolke versteckt, aber der Himmel war immer noch leuchtend blau. Die meisten glaubten, die Ursache sei ein lecker Propangastank gewesen, aber Hawk hatte von seinem Posten hoch oben in der Takelage den Blitzschlag gesehen.
    Der Kapitän hörte auf Hawk und fuhr in die Sandy Bay vor dem Hafen von Rockport. »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, sagte er. Eigentlich hatten sie rechtzeitig für das Feuerwerk in Newburyport sein wollen, aber der hölzerne Mast der Friendship war schon einmal vom Blitz getroffen worden. Der Gloucester Harbor wäre zwar viel besser gewesen, aber sie würden es nicht mehr dorthin schaffen. Innerhalb von fünf Minuten hatte sich der Himmel verfinstert, und über ihnen zuckten die Blitze wie ein natürliches Feuerwerk.
    Die Friendship ging vor Anker.
    »Alle Mann unter Deck«, ordnete der Kapitän an. »Und nichts Metallenes anfassen.«
    Im Allgemeinen mochte Hawk Gewitter. Besonders mochte er sie auf dem Wasser, denn da zogen sie schnell auf, und man konnte sehen, wie sich die Gewitterwolken bildeten und am Himmel nach oben drückten. Doch dieses schien aus dem Nichts gekommen zu sein, ein Phänomen, von dem er schon gehört, das er aber selbst noch nie erlebt hatte. Menschen waren schon dreißig Minuten vor einem Gewitter vom Blitz getroffen worden. So ungewöhnlich war das nicht. Die elektrische Ladung konnte Entfernungen überbrücken.
    Doch heute hatte er oben in der Rigg gearbeitet, als der Blitz kam. Er war so nahe gewesen, dass Hawk sich wie elektrisiert gefühlt hatte, bevor er den Einschlag gesehen hatte. Die Härchen im Genick und an den Armen stellten sich ihm auf. Eigentlich hätte der Blitz die Friendship treffen müssen, die bei weitem das höchste Schiff im Umkreis war, doch stattdessen zog er weiter und schlug in die Hunter ein. Hawk wusste, dass das kein Zufall war – Blitze folgten den Regeln der Elektrizität –, ihm kam es eher wie etwas Persönliches vor. Die Friendship hätte den Einschlag überstanden, aber Hawk wäre ihm in der Takelage sehr wahrscheinlich zum Opfer gefallen. Er hatte das Gefühl, verschont worden zu sein.
    Diese Geschichte erzählte er niemandem; dafür kannte er die anderen zu gut. Es war ihnen schon schwer genug gefallen zu glauben, dass es sich überhaupt um einen Blitzschlag gehandelt hatte, allerdings waren sie mittlerweile davon überzeugt. Das Meer war unruhig, und das Schiff geriet ins Rollen, weil die Wellen auf die Breitseite auftrafen. Selbst die Wellenbrecher von Rockport konnten die Wogen nicht aufhalten.
    Die Seeleute saßen unter Deck und lauschten dem Unwetter. Als der Himmel wieder heller wurde, war der Ort Rockport zu einer Art Schattenriss erstarrt: ein versengtes, nur langsam zum Leben erwachendes Bild von verängstigten Touristen, die sich am Bearskin Neck irgendwo untergestellt hatten.
    Die sonst so vorlauten Männer waren ungewöhnlich still, während sie zusahen, wie die Hunter 31 ausbrannte und sank.
    »Ich dachte, Aluminiummasten leiten keinen Strom«, sagte einer der Matrosen.
    »Doch«, sagte Hawk. »Es muss mit der Erdung zu tun haben.«
    »Scheiße«, sagte einer der anderen.
    »Doppelte Scheiße«, meinte ein anderer. »Wir sind der höchste Mast im Hafen, und nasses Holz leitet auch.«
    »Uns passiert nichts«, sagte Hawk. »Wir haben Blitzableiter, und wir sind mit Kupfer geerdet.«
    Alle schwiegen, in der Hoffnung, er habe recht.
    Als alles vorbei war, ging die Besatzung zurück an Deck. Eines der Taue war angesengt, wahrscheinlich von dem Blitz, der die Hunter 31 getroffen hatte.
    Jemand zeigte auf die Hafenmündung. Eine Nebelbank rollte langsam vom offenen Ozean herein. Das geschah selten und hätte gut zum Pazifik gepasst, weniger zu diesem Teil des Atlantiks.

Weitere Kostenlose Bücher