Die Widmung: Roman (German Edition)
ließ ihre Wut an der Küche aus. Sie putzte. Sie schrubbte den Ofen und die Arbeitsflächen. Sie polierte den Toaster, bis er glänzte. Als sie die Vorratsbehälter von der Wand wegzog und dahinter saubermachte, stieß sie auf mehrere Backzutaten und Kuchendekorationen: roten und grünen Zucker, ein paar Fläschchen Lebensmittelfarbe, ein paar Gewürze, darunter auch ein altes, bernsteinfarbenes Fläschchen – offenbar hatte Melville einmal etwas backen wollen, und das war übrig geblieben. Sie öffnete das bernsteinfarbene Fläschchen und betrachtete die kleinen silbernen Perlen darin. Mit so etwas verzierte man vielleicht einen extravaganten Kuchen oder Weihnachtsplätzchen – Dragées hießen sie wohl. Sie waren wahrscheinlich zu alt, um sie noch zu verwenden, aber Zee wollte nichts wegwerfen, ohne zu fragen, daher stellte sie alle Behälter mit den anderen Backutensilien zurück in den Küchenschrank.
Melville war ein guter Koch, doch im Saubermachen oder Wegräumen lag nicht seine Stärke. Als sie die Kuchendekorationen verstaute, sortierte sie die Küchenschränke um, stellte die Dosen in den einen Schrank, die Gewürze in den anderen. Ihre Wut ließ nach, aber das Adrenalin wirkte noch, und so ging sie von Schrank zu Schrank, wischte die Oberflächen ab, ordnete nach Etiketten. Ihr wurde bewusst, dass sie es ein wenig übertrieb, als sie ernsthaft erwog, alles alphabetisch aufzureihen.
Als sie beim dritten Schrank ankam, war sie überrascht. Hinter den Schachteln mit den Frühstücksflocken versteckt fand sie all den Wein, den Michael Finch in den letzten vier Jahren zu jedem Geburtstag und jedem Weihnachtsfest geschenkt hatte, alles hervorragende Zweitweine aus Michaels eigener Sammlung. Sie lagen nicht horizontal, sondern standen aufrecht – eine sichere Methode, die Korken zu ruinieren. Erschrocken holte sie die Flaschen heraus und stellte sie auf die Theke.
Bevor man bei ihm Parkinson diagnostiziert hatte, war Finchs Alkoholkonsum seit seiner Zeit als Pirat kontinuierlich gestiegen. Er hatte eine echte Vorliebe für Wein entwickelt. Vom medizinischen Standpunkt aus erschien Zee das mittlerweile logisch, auch wenn sie nie selbst das Phänomen beobachtet hatte, das in all den ärztlichen Fachzeitschriften beschrieben wurde, die sie nun regelmäßig las: Alkohol setzt Dopamin frei, und das ist genau die chemische Substanz, die Parkinsonpatienten brauchen.
Jetzt trank Finch kaum mehr, nicht seit er Dopamin bekam, und Melville trank ebenfalls nicht viel. Sie hatte versucht, Michael das begreiflich zu machen, doch Finch bedankte sich immer so überschwänglich, dass Michael nicht auf sie hören wollte.
Dies hier war nun echte Verschwendung. Sie suchte nach dem faltbaren Weinregal, das sie den beiden geschenkt hatte, und entdeckte es unter der Spüle. Zwölf Flaschen konnten darin waagerecht aufbewahrt werden, vor ihr standen aber dreizehn. Sie stellte das Regal auf die Theke und die Vorratsbehälter nach unten, um Platz zu schaffen. Lange Zeit fand sie den Korkenzieher nicht, bis sie schließlich auch den Wäscheraum durchwühlte. Sie öffnete die dreizehnte Flasche und schenkte sich ein Glas davon ein. Auf Michael war sie zwar noch böse, weil er nicht ans Telefon ging, aber heute Abend freute sie sich über seinen einwandfreien Geschmack in Sachen Wein.
10
Zee hatte immer Alpträume bekommen, wenn sie an einem neuen Ort schlafen musste. Nicht dass ihr altes Kinderzimmer ein neuer Ort gewesen wäre. Aber es war auf jeden Fall ein seltsamer Ort.
»Das Museum der perfekten Kindheit«, so nannte Finch den Raum, den Maureen Finch für ihre Tochter geschaffen hatte.
Zees Zimmer erinnerte an die Märchen, die Maureen so gerne schrieb: ein weißes Himmelbett, die Vorderseite mit rosa Rosen handbemalt, auf der Tapete Ballerinas in unterschiedlichen Posen, eine Kommode mit mundgeblasenen Parfümzerstäubern, die Zee, die jegliche Düfte hasste, jedoch nie gefüllt hatte. Das silberne Set aus Bürste und Spiegel, das diagonal zurechtgelegt war, trug ihre Initialen in der klassischen Form H. F .T.
Zee hatte nie etwas über ihren zweiten Vornamen herausgefunden. Als sie ein Teenager war, hatten Finch und Melville immer gescherzt, das T. stehe für »Turbostress«. Turbostress ist ihr zweiter Vorname , hatte Finch oft gesagt.
Doch nicht einmal Finch wusste, was das T. bedeuten sollte. Hepzibah war der Name, den er für seine Tochter gewählt hatte, eine naheliegende Anspielung für einen bekannten
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