Die Widmung: Roman (German Edition)
Hawthorne-Forscher. Maureen wurde die Ehre zuteil, den zweiten Vornamen auszusuchen, und sie hatte sich für T. entschieden. Wann immer Maureen danach gefragt wurde, antwortete sie stets, es stehe einfach für den Buchstaben T . »Es ist, was es ist«, sagte sie wiederum gerne.
Zee war immer davon ausgegangen, dass ihr Maureen eines Tages erzählen würde, wie ihr zweiter Vorname wirklich lautete, aber jetzt war es natürlich zu spät. Als Maureen starb, erstarrte alles, von Zees mittlerer Initiale bis zu dem Kinderzimmer, auf dessen Ausstattung ihre Mutter so viel Zeit verwendet hatte, für das vollkommenste kleine Mädchen von allen, ihre kleine Prinzessin, wie sie hoffte.
Dass Zee weder vollkommen noch eine Prinzessin war, zeigte sich an anderer Stelle im Zimmer. Sie hatte die Ballerinas auf der Tapete großflächig mit ihren Wachsmalkreiden ausgemalt – von Kopf bis Fuß samt Tutu. Damals hatte sie Masern gehabt und konnte deshalb nicht für ihre Untat bestraft werden. Maureen hielt nichts von Impfungen und hatte darauf bestanden, dass Zee tagelang in einem abgedunkelten Zimmer blieb, ohne etwas zu tun. Um sich zu beschäftigen, bewegte sich Zee systematisch im Kreis um ihre kleine Welt herum, bemalte nur, was in Reichweite war, und wählte dafür ihre Lieblingsfarben: Giftgrün und Rotbraun.
Die bunten Ballerinas waren zwar eine recht kreative Angelegenheit, aber endgültig ruiniert, sagte Maureen immer. Wenn Zee allerdings fragte, was das bedeutete, konnte ihre Mutter ihr das nie verständlich beantworten. Maureen ließ stattdessen das Zimmer rundum hüfthoch vertäfeln, um die ruinierten Tänzerinnen zu verdecken. Sie strich die Täfelung weiß an und ließ entlang der Stuhlleiste Rosenknospen schablonieren, passend zur Gestaltung des Bettes. Von Zees Malkunst blieb jetzt nur noch eine Spur, ein wildes Gekritzel an manchen Stellen, das als Schleife über die Täfelung hinauswuchs und dann wieder darunter verschwand.
In den darauffolgenden Jahren stellte sich noch deutlicher heraus, dass Zee nicht der Prinzessinnentyp war. An der Ballettstange hing eine Tauchausrüstung, denn sie verdiente sich ein bisschen Geld, indem sie die Schrauben von Touristenbooten von Schiffs- und Hummerkorbleinen befreite, in denen sie sich oft verfingen. Pro Einsatz bekam sie vierzig Dollar, das war mehr, als sie mit Kellnern verdienen konnte, und normalerweise erledigte sie alles in nicht einmal zwanzig Minuten. Wenn sie dabei einen Bikini trug, bekam sie häufig noch mehr, aber meistens blieben die Männer dann in der Nähe und versuchten zu helfen, was nur bewirkte, dass alles länger dauerte.
In ihrem alten Zimmer kam es ihr jetzt vor, als würde sie an einem fremden Ort schlafen, zumindest im Zimmer einer Fremden. Der Raum hatte heute so wenig Bezug zu ihr, dass sie unwillkürlich rätselte, wie das Mädchen, das hier gewohnt hatte, wohl gewesen sein mochte. Was wollte sie? Welche Träume hatte sie? In irgendeinem entfernten Teil von ihr selbst schien Zee das zu wissen. Zur Antwort gelangte sie jedoch nicht.
Zee hatte den Wein zu zwei Dritteln ausgetrunken, bevor sie ins Bett stieg. Sie war so müde, dass sie sich nicht einmal die Mühe machte, sich umzuziehen. Sie schlüpfte lediglich aus den Jeans und schlief in dem T-Shirt, das sie angehabt hatte. Vieles ging ihr durch den Kopf: Finch, Lilly, Michael. Auf Michael war sie nicht mehr böse; sie fühlte einfach nur Erschöpfung, emotional wie körperlich. In weniger als fünf Minuten war sie eingeschlafen.
Sie erwachte aus einem tiefen Schlaf und spürte, dass noch jemand im Raum war. Sie setzte sich rasch auf, ihr Herz klopfte.
Er stand über ihr, sein Geruch war ihr vertraut. Und dann eine Stimme, eine Stimme, die sie kannte, nur mehr ein Flüstern.
»Bitte hilf mir«, sagte Finch.
Als ihre Augen sich darauf eingestellt hatten, erkannte Zee ihren Vater. Er stand starr da wie aus Marmor, stocksteif, unfähig, sich zu lösen.
11
Finch erfuhr am folgenden Vormittag noch zwei solche Freezing-Blockaden. Jessina und nicht der Neurologe brachte ihnen schließlich das »Übersteigen« bei.
Jessina lebte mit ihrem Sohn Danny in The Point, einem Viertel von Salem, nahe der Lafayette Street, in dem es einen großen dominikanischen Bevölkerungsanteil gab. In der Dominikanischen Republik war sie Krankenschwester gewesen, und nun besuchte sie am Salem State College Abendkurse, um ihre staatliche Prüfung abzulegen. Tagsüber arbeitete sie Teilzeit in einem Pflegeheim und
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