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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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verwechselte. Trotzdem, die Stellenbezeichnung hatte weder mit einem Sexton noch mit einem Sextanten sonderlich viel zu tun. Ein Sexton war ein Hausmeister, eine Stelle, für die man damals, als Melville angestellt wurde, ein Budget bewilligt hatte. Doch Melvilles Tätigkeit im Athenaeum war eher die eines Archivars als die eines Hausmeisters. Tag um Tag recherchierte und dokumentierte er die gespendeten und erworbenen Sammlungen, die so historisch bedeutsame Dokumente wie die Massachusetts Bay Charta enthielten.
    Melvilles neue Wohnung lag im ersten Stock eines der umgewandelten Herrenhäuser im Federal Style im McIntyre-Viertel. Die Treppe wand sich als hängende Spirale über drei Stockwerke nach oben. Die Türen hatten die traditionellen geschnitzten Holzfriese. Zee fand es zwar immer schade, wenn eines dieser alten Häuser in kleinere Wohneinheiten unterteilt wurde, aber dieser Umbau war gut geraten.
    Melville machte auf und umarmte sie. »Danke, dass du gekommen bist.«
    Sie reichte ihm die Tasche. »Du hast Glück gehabt«, sagte sie. »Er war noch nicht dazu gekommen, diese Sachen zu verkaufen.«
    Melville sah fürchterlich aus. Seine sandfarbenen Haare waren ungewaschen, und er hatte sich schon Tage nicht rasiert. Er trug ein schmutziges lindgrünes Salem-T-Shirt mit dem Logo LIFE ’S A WITCH AND THEN YOU FLY . Er hatte eine kräftige Statur, war muskulös von der Arbeit auf den Booten und von den Jahren, die er bei der Handelsmarine verbracht hatte, bevor er Schriftsteller und Archivar wurde. »Ich weiß«, sagte er, als er merkte, wie sie ihn ansah. »Ich vermeide jeden Blick in einen Spiegel.«
    Die Wohnung im ersten Stock hatte Fenster, war sonnig und historisch perfekt rekonstruiert, in Verdigris, demselben graugrünen Farbton, den man auch für das Wohnzimmer des Hauses mit den sieben Giebeln gewählt hatte. Zee erkannte Antiquitäten aus der Zeit des Chinahandels um 1850. Der eine Koffer, den Melville mitgenommen hatte, lag geöffnet neben der Tür. Die Wäsche, die er rasch hineingestopft hatte, türmte sich in einem unordentlichen Haufen darin auf und quoll teilweise schon auf den Boden über, ein Kontrast zu dem perfekten Zimmer. Die Stühle hatten die leichten, spindeldürren Beine teurer Antiquitäten, und Zee konnte sich nicht vorstellen, dass Melville es wirklich wagte, sich darauf zu setzen.
    »Schön hier«, sagte sie. Sie suchte einen Platz, wo sie sich hinsetzen konnte, aber das hier entsprach eher einem Museum als einem Wohnzimmer, zwar mit femininem Touch, insgesamt jedoch einfach zu perfekt in der Ausführung. Es war definitiv das Haus eines Homosexuellen, entschied Zee, wahrscheinlich gehörte es jemandem, der mit Antiquitäten handelte. Sofort spekulierte sie über mögliche Gründe für die Trennung von Finch.
    »Ich hüte hier nur die Wohnung«, sagte Melville, der wusste, was sie dachte. Er hatte schon immer ihre Gedanken lesen können.
    »Möchtest du einen Kaffee?«, fragte er und zeigte in Richtung Küche.
    »Gerne«, sagte sie.
    Die Küche war offensichtlich der Ort, in dem Melville die meiste Zeit verbrachte. Er räumte rasch die vielen Ausgaben des Boston Globe , die Salemer Zeitungen und die alten National Geographic -Hefte weg, die den rustikalen Tisch bedeckten. Mehrere Kaffeetassen in unterschiedlichen Stadien der Verwahrlosung standen auf dem Tisch und auf den Arbeitsflächen, eine davon mit einer pelzigen weiß-grünen Haut, die auf der Oberfläche wuchs.
    »Ich muss uns erst welche abspülen«, sagte er und trug die Tassen zum Spülbecken.
    »Schönes Licht hier«, sagte sie. Die Küchenfenster führten auf den North River. Es war das perfekte Licht neuenglischer Gemälde. Zee warf einen kurzen Blick nach unten auf den Hundepark am Fluss. Mindestens zehn Hunde liefen frei herum, bellten und jagten einem Tennisball hinterher, den ein Kind geworfen hatte.
    Melville spülte die Tassen und die alte Emaillekanne aus. Es war die gleiche, die Zee in Boston besaß. Melville hatte sie ihr in dem Jahr, in dem sie ans College gegangen war, geschenkt, weil er genau wusste, dass sie es keinen Tag ohne seinen Kaffee aushielt.
    Die Starbucks-Tüte war leer. Er suchte die Küchenschränke durch und entdeckte etwas Bustelo-Espresso. »Ziemlich starkes Zeug«, sagte er.
    »Ich kann das ab, wenn du es kannst«, sagte sie.
    Er öffnete den Kühlschrank, nahm ein Ei heraus, hielt es hoch wie ein Zauberer und ließ es dann verschwinden. Diesen Trick hatte er sich angeeignet, um sie

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