Die Widmung: Roman (German Edition)
war auch sehr betrunken. Und sie fühlte sich zu erschöpft, um jetzt darüber zu reden.
Sie nahm ihr Kissen, ging zum Schlafen ins Fernsehzimmer und überließ ihm das Bett.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war Michael weg. Die Notiz auf dem Tisch war kurz, aber deutlich.
Liebe Zee,
du hattest recht. Ich bin wütend. Es reicht mir.
21
Zee weinte fast den ganzen Mittwoch über. Zum Teil aus Erleichterung; weil es jetzt vorbei war, hatte sie keine großen Entscheidungen mehr zu fällen. Einige der Tränen galten den letzten drei verschwendeten Jahren ihres Lebens. Ein paar galten Finch, ein paar Maureen und der »großen Liebe«, und ein paar auch Lilly Braedon.
Sie lauschte ihren Gedanken, die ihr durch den schmerzenden Kopf schossen. Ihre Nebenhöhlen waren geschwollen vom Weinen, sie traute sich gar nicht, in den Spiegel zu schauen. Sie ging ins Bad, ließ kaltes Wasser ins Waschbecken laufen und spritzte es sich ins Gesicht.
Draußen hörte sie Finchs Rollator. Jessina war in der Küche und machte Frühstück. Zee trocknete sich die Hände ab. Sie warf einen Blick auf ihren Verlobungsring an der linken Hand und fragte sich, was sie nun wohl damit anfangen sollte. Sollte sie Michael den Ring zurückschicken? Sollte sie ihn überhaupt anrufen? Sie wollte nicht. Ihr wurde bewusst, wie froh sie war, dass sie nicht anrufen musste, gleichzeitig war ihr klar, dass sie irgendwann mit ihm Kontakt aufnehmen musste, um ihre Sachen abzuholen. Irgendwann, aber nicht jetzt.
Als sie es im Haus nicht mehr aushielt, beschloss sie, Auto zu fahren. Über die Lafayette Street fuhr sie nach Marblehead, dann bog sie links in den West Shore Drive ein. Es gab etwas, das sie schon lange vorgehabt hatte, und nun war die Zeit gekommen. Im Gartencenter suchte sie sich einen Grabkorb aus, mit Geranien, Hängepetunien und Keulenlilie. Dann fuhr sie weiter, bis sie den Waterside Cemetery erreicht hatte.
Sie steuerte den Volvo durch die schmale, von Bäumen gesäumte Gasse und hinauf zum Büro. Dort parkte sie und ging hinein.
»Guten Tag«, begrüßte sie die Frau am Schreibtisch. »Verzeihen Sie die Störung, aber könnten Sie mir vielleicht sagen, wo das Grab von Lilly Braedon liegt?«
Cathy betrachtete Zees fleckiges Gesicht. Normalerweise hätte sie den Standort des Grabs nachschlagen müssen, aber Lilly Braedons Grabstein war erst gestern aufgestellt worden, und Cathy hatte am Abend zuvor, als sie nach Hause ging, gesehen, wie Lillys Mann und die Kinder das Grab besucht hatten. Wirklich traurig, hatte sie gedacht und sich gefragt, was die junge Mutter wohl dazu gebracht haben mochte, von der Tobin Bridge in den Mystic River zu springen. Die Kinder taten ihr besonders leid.
Cathy begleitete Zee zur Tür und zeigte den Hügel hinauf. »Es ist dort oben, neben dem Pavillon«, erklärte sie. »Unter der großen Eiche.«
»Vielen Dank.«
Zee ließ ihr Auto beim Büro stehen und trug den Korb mit den Blumen den Hügel hinauf. An einem Wasserhahn blieb sie stehen und goss die Blumen. Als sie oben angelangt war, konnte sie ganz Salem überblicken, vom Willows-Park bis zum Haus mit den sieben Giebeln, den Shetland Park und die alten Mühlengebäude mit ihren Spitzdächern, die aussahen wie eine Reihe weißer Zelte. Hinter dem Shetland Park lag der Bezirk, der »The Point« genannt wurde, mit den Mietshäusern, in denen früher die Mühlenarbeiter gewohnt hatten – die Iren, die Italiener, die Frankokanadier. Die Mühlen waren längst verschwunden, aber die Häuser standen noch. Heutzutage lebten dort hauptsächlich Dominikaner. Jessina und ihr Sohn Danny wohnten in The Point.
Zee fand Lillys Grabstein. Er bestand aus einfachem Granit, in einem matten Grau. Darauf standen nur Lillys Name, ihr Geburtsdatum und das Datum des Tages, an dem sie gestorben war. Zee begann unwillkürlich zu rechnen. Lilly war vierunddreißig, nur zwei Jahre älter als Zee und genauso alt wie Maureen zum Zeitpunkt ihres Selbstmordes. Aber Lilly war Zee jünger erschienen, als ihre Mutter in ihrer Erinnerung je gewesen war. Auf jeden Fall naiver, dachte sie. Allerdings fand sie das seltsam, denn Maureens Zeit hatte sicherlich weniger Weltläufigkeit diktiert als die von Lilly. Jetzt im Rückblick wurde Zee klar, dass ihre Kinderaugen ihre Wahrnehmung gefiltert hatten. Würde sie die beiden Frauen nebeneinander sehen, sie würden ihr wahrscheinlich genau gleich vorkommen. Es gab natürlich schon viele Entsprechungen, zumindest in Zees Vorstellung. Als
Weitere Kostenlose Bücher