Die Widmung: Roman (German Edition)
Lilly noch lebte, war es schon schwer, sie auseinanderzuhalten, aber jetzt verschmolzen die Bilder immer mehr.
Zee stellte den Korb auf den Sockel von Lillys Grab. Sie hatte gar nicht weiter darüber nachgedacht, doch jetzt meinte sie, dass sie ein paar Worte sprechen oder zumindest ein stilles Gebet beten sollte. Nur fiel ihr nichts ein.
Sie bemühte sich, einen klaren Kopf zu bekommen und an Lilly zu denken. Als sie den Grabstein betrachtete, wollte sie wieder weinen, eine angemessene Reaktion, aber sie konnte einfach nicht mehr. Ihr tat der Kopf vom Weinen so weh, dass sie sich zwang, die Tränen zurückzuhalten. Stattdessen ging sie hinauf zu dem Pavillon, setzte sich hin und blickte über den Hafen hinweg auf Salem.
Das Haus mit den sieben Giebeln war von hier zum Teil sichtbar. Sie versuchte, Finchs Haus zu identifizieren, aber es wurde von der Werft auf der anderen Straßenseite verdeckt. Das Licht des Kraftwerks im Hafen blinkte, und irgendwie fiel ihr da Gatsby ein, wie er auf Daisys Steg stand und hinausblickte, allerdings war das Licht grün und nicht weiß und befand sich weiter unten statt auf einem kohlebefeuerten Schornstein, den sich die Bewohner beider Städte redlich loszuwerden bemühten.
Zee schlief ein, während sie auf den Hafen hinaussah. Das überraschte sie, zum einen, weil sie mitten am Tag schlafen konnte – sie war nie der Typ für Nickerchen gewesen –, und zum anderen, weil sie an einem öffentlichen Ort im Freien eingeschlafen war. Ein unterbrochener Traum verwirrte sie zusätzlich, und so hatte sie ein paar Sekunden nach dem Aufwachen nicht die geringste Ahnung, wo sie war.
Ein Motorengeräusch hatte sie geweckt. Ein roter Pick-up fuhr durch die schmalen Zufahrtswege, erst auf der einen Seite des Hügels hinauf, dann auf der anderen hinunter. Langsam rollte er durch sämtliche Parallelwege, bis er anhielt und zurücksetzte, als er Lillys Grab erreichte. Adam schaltete den Motor nicht aus, bevor er ausstieg. Der Wagen lief stotternd im Leerlauf und lieferte den Soundtrack, der das, was Zee ihn gleich tun sah, eher wie einen Film wirken ließ als wie das wahre Leben.
Adam ging zu dem Grab und stand lange davor. Er betrachtete den Grabstein und den Blumenkorb. Dann schaute er sich um, ob ihn jemand beobachtete. Er nahm den Blumenkorb, den Zee gerade erst auf das Grab gestellt hatte, und schleuderte ihn weg. In Zeitlupe flog er in hohem Bogen über die Grabsteine, bis er schließlich auf dem Asphalt landete und kaputtging. Dann stieg Adam in seinen Pick-up und fuhr davon.
Zee war so erschüttert, dass sie sich eine ganze Weile nicht rührte. Sie ging nicht in das Büro und meldete den Vorfall. Stattdessen stieg sie in ihr Auto und fuhr zurück nach Salem. Bei einer roten Ampel wählte sie Matteis Nummer und hinterließ ihr eine Nachricht.
»Ich weiß, du bist der Meinung, ich sollte das nicht weiter verfolgen, aber ich habe gerade etwas gesehen, das darauf hindeutet, dass Lilly Braedons Tod doch kein Selbstmord war. Ich muss mit dir reden.«
22
Vier Stunden später saß Mattei Zee gegenüber am Küchentisch. Sie hatte große Schwierigkeiten gehabt, einen Parkplatz zu finden, und ihr Auto schließlich in einer vierstöckigen Parkgarage in der Congress Street untergebracht, wo sie trotzdem fast zwanzig Minuten auf einen freien Platz warten musste.
Zee hatte ihr an diesem Tag zwei Nachrichten hinterlassen, die erste noch von zu Hause aus, als sie um Beurlaubung bat, um sich um Finch kümmern zu können, und die zweite zwei Stunden später, als sie erklärte, dass sie Lillys Tod nicht für einen Selbstmord hielt.
Mattei hatte Zee gar nicht erst zurückgerufen. Sie war gleich ins Auto gestiegen und nach Salem gefahren.
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, insistierte Zee, während sie einander gegenübersaßen.
»Das bestreite ich ja nicht«, sagte Mattei.
»Er hat den Blumenkorb kaputtgemacht«, sagte Zee. »Er ist gefährlich.«
»Wir wissen nicht, ob er gefährlich ist. Auf jeden Fall scheint er zornig zu sein.«
»Wir wissen, dass er sie bedroht hat.«
»Ja«, gestand Mattei ein.
»Du hast es schon vorher nicht geglaubt«, sagte Zee.
»Ich habe nie gesagt, dass ich es nicht geglaubt habe. Die Polizei von Marblehead war skeptisch. Und Lilly war nicht gerade glaubwürdig. Zumindest nicht kooperativ.«
»Sie war nicht selbstmordgefährdet«, sagte Zee.
»Sie ist von einer Brücke gesprungen.«
»Und wenn er sie dazu getrieben hat?«
»Und wenn?«, fragte
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