Die Wiedergeburt (German Edition)
verhassten Artgenossen in der Steppe. Die meisten Nomaden sahen in den Wölfen aufgrund der ständigen Gefahr für ihre Viehherden eine Bedrohung. Doch schon allein seiner kentarischen Herkunft halber, hatte Larkyen sich von Kindesbeinen auf dagegen g e wehrt, sich diese abwehrende Haltung anerziehen zu la s sen. Und obwohl er es vor den Yesugei nie offen ausz u sprechen wagte, konnte er jedes Raubtier irgendwie ve r stehen. Raubtiere jagten und töteten allein der Nahrung oder Verteidigung halber.
Sein Hunger erinnerte ihn daran, dass er sich die L e benskraft dieses Tieres hätte nehmen können, doch sein Gewissen bot ihm Einhalt, und ihm wurde klar, dass es ihm bedeutend leichter fallen würde, einem menschlichen Feind das Leben zu nehmen als diesem friedlich geso n nenen Wolf.
Plötzlich knackte im Unterholz ein Ast.
Der Wolf erschrak und rannte fort.
Abermals zog Larkyen das Breitschwert und spähte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
Zu seiner Beruhigung sah er Ojun zwischen den Bä u men entlanggehen.
Als der Schamane ihn erblickte, sagte er: „Ich habe dich gesucht, mein Junge. In Zeiten wie dieser ist meine Sorge ohnehin groß, und dein Davonschleichen am fr ü hen Morgen entspannt diese Lage keinesfalls.“
Larkyen erzählte dem Schamanen von seiner Bege g nung mit dem Wolf. Ojun machte ein nachdenkliches G e sicht. Lange Zeit blickte er auf das gerissene Schaf.
„Dieser Wolf kehrt jeden Herbst in dem Wald ein. Ich h a be ihn immer akzeptiert, anstatt ihn fortzujagen, doch aus nächster Nähe habe ich ihn noch nie zu sehen b e kommen. Ein Kind der schwarzen Sonne besitzt eine b e sondere Ausstrahlung auf die meisten Tiere, deshalb scheuen sie den Kontakt zu ihm nicht.“
Vielleicht war die Begegnung ja so etwas wie ein Ze i chen gewesen, dachte sich Larkyen. Und er erinnerte sich daran, wie der älteste der Yesugei einst von außerg e wöhnlichen Begegnungen zwischen Mensch und Tier b e richtet hatte. Es hieß, wenn ein wildes Tier vor einem Menschen keine Scheu zeige und sogar dessen Nähe s u che, so seien sie von verwandter Art. Nicht der Wolf war anders als seine Artgenossen, sondern Larkyen war es, der anders war. Der Wolf und er, sie waren zur Jagd nach Beute b e stimmt.
Er hielt diese Begegnung tief in Gedanken fest und erkannte schließlich in dem Wolf ein Sinnbild für seine eigene Jagd nach Beute, ebenso wie für den Kampf auf Leben und Tod, denn Bestien fühlten keine Reue und t a ten, was getan werden musste. Vielleicht war dies eine der Eigenschaften, die Boldar seinen Gegnern voraus ha t te und die zu jedem seiner vielen Siege beigetragen hatte. Larkyen war sich darüber im Klaren, dass es wenig Sinn hatte, große Kraft zu besitzen, wenn man nicht bereit war, diese Kraft gnadenlos und ohne Kompromisse einzuse t zen.
Ojun verlor kein Wort über das tote Schaf und zeigte kein Anzeichen von Verärgerung oder Wut. Der Scham a ne schien den Tod eines seiner Tiere, sowie die Bedür f nisse eines Raubtiers längst als den natürlichen Lauf der Dinge anzuerkennen.
Gemeinsam liefen sie unter den licht gewordenen Bau m kronen zurück. Larkyen sah sich immer wieder nach dem Wolf um, und zwischen einer Reihe von Farnen glaubte er die dunklen Augen des Raubtieres zu erke n nen. Ihre Blicke trafen sich ein letztes Mal.
Ebenso wie der Schamane wartete Larkyen auf den Abend und die Rückkehr Khorgos. Immer wieder sah er den alten Mann in die Richtung blicken, in die der Kri e ger aufgebrochen war. Die Zeit verstrich quälend lan g sam, und Larkyen verschaffte sich etwas Ablenkung, i n dem er sich um den Adler des Kriegers und die Herde n tiere kümmerte.
Die Nebelschwaden breiteten sich schleichend aus und verharrten träge in der Luft. Das letzte Tageslicht e r stickte im trüben Dunst. Die Sonne war bereits unterg e gangen, als sie das Wiehern eines Pferdes hörten.
Larkyen war wie gewohnt äußerst wachsam. Mit e i nem schmatzenden Geräusch polterten die Hufe über den nassen Boden. Nun erkannten sie die Silhouette des Kri e gers. Ojun lächelte flüchtig, als der Adler mit gespreizten Flügeln aus dem Himmel glitt und sich bei der Jurte ni e derließ.
Als Larkyen und Ojun den Krieger freudig willko m men hießen, blieb dessen Miene seltsam ernst.
„Schwere Zeiten stehen bevor“, verkündete er.
Larkyen half Khorgo mit dem Pferd und band es bei den anderen an einen Pfahl.
„Hast du viel in Erfahrung bringen können?“ fragte Larkyen.
„Komm mit in die
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