Die Wiedergeburt
Alexandra in die Mauer ein. Steinsplitter und Staub senkten sich auf sie herab. Hastig hielt sie die Hand über die Schale, damit nichts davon in die Mischung fallen konnte, während sie beobachtete, wie sich ein Netz aus Silberfäden über den Ersten Vampyr legte. Alles zornige Kreischen änderte nichts daran, dass sich die Fäden mehr und mehr zusammenzogen, ähnlich wie damals in der Bibliothek, als Lucian darin gefangen gewesen war. Immer weiter krümmte sich seine Gestalt unter wütendem Gebrüll, bis er jegliche Bewegungsfreiheit verlor.
Erleichtert, dass das Pulver ihn tatsächlich gefangen hielt, richtete sie ihren Blick wieder auf das Pergament und begann den neuen Abschnitt zu rezitieren. Am Ende jeder Zeile machte sie eine kurze Atempause, die sie dazu nutzte, einen Blick auf das Plateau zu werfen.
Der Unendliche war noch immer außer sich vor Zorn. Er brüllte und fluchte und kämpfte gegen das silberne Netz an, das ihn gefangen hielt, doch die Fäden hielten all seinen Bemühungen stand und verhinderten jede Bewegung. Es wäre für Lucian ein Leichtes gewesen, ihn jetzt zu töten, er hatte Gavril jedoch sein Wort gegeben, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Vladimirs Leben zu retten. Im Augenblick ging keine Gefahr von ihm aus. Wenn alles gut ging, würde es ihnen womöglich tatsächlich gelingen, den Unendlichen aus Vladimirs Leib zu reißen.
Alexandra las eine weitere Zeile. Als sie an deren Ende erneut aufsah, setzte Bothwell mit großen Schritten über das Plateau hinweg. Im ersten Moment war sie überrascht, dann jedoch sah sie Mihail, der dem Unendlichen gefolgt war und seine Pistole im Anschlag hielt. Bothwell sprang ihn an und riss ihn zu Boden. Ein Schuss löste sich, dann schlitterte die Waffe über den Boden, knapp an der äußeren Linie des Kreises vorbei, der den Unendlichen gefangen hielt. Während Bothwell und Mihail miteinander rangen und Lucian seinen Bruder im Auge behielt, las Alexandra die nächsten Zeilen. Sie zwang sich, das Geschrei des Unendlichen und jegliches Kampfgeräusch zu ignorieren. Anfangs fiel es ihr schwer, sich auf das geschriebene Wort zu konzentrieren. Immer wieder zuckte sie zusammen, wenn ein weiterer Laut die Stille durchdrang, die sie um sich aufzubauen versuchte. Bald jedoch war sie wieder vollständig in die lateinischen Zeilen vertieft. Am Ende des Absatzes angelangt, griff sie nach dem nächsten Säckchen. Als ihr der Geruch von Pfirsich in die Nase stieg, wusste sie, dass ein Bestandteil dieser Mischung getrockneter und gemahlener Stechginster sein musste. Vorsichtig leerte sie seinen Inhalt in den brodelnden Sud. Gelbe Flecken, die von den Stechginsterblüten stammen mochten, mischten sich mit einem silbern schimmernden Pulver, versanken in der zähen Flüssigkeit und schienen sich darin aufzulösen.
Während sich das Pulver mit dem Sud vermischte, riskierte Alexandra einen Blick auf das Plateau. Bothwell rang weiter mit Mihail. Obwohl er den Jäger an die Wand gedrängt hatte, musste er sich noch immer seiner Schläge und Tritte erwehren. Alexandra wollte ihre Aufmerksamkeit gerade wieder auf das Pergament richten, als sie ein Zischen vernahm. Ihre Augen folgten dem Geräusch und blieben an Lucian hängen, der einen Schritt zurückwich, als Nebel zwischen den Silberfäden hervorquoll, die den Unendlichen umfangen hielten. Entsetzt beobachtete sie, wie einzelne Schwaden durch das silberne Netz drangen und sich außerhalb zu einer hellen Wolke verdichteten. Etwas Ähnliches hatte sie im Kloster beobachtet, als die Schwaden sich unter der Tür hindurchgeschoben und den Raum erkundet hatten. War das die Essenz des Unendlichen? Die bloße Vorstellung, er könne seinem Gefängnis entflohen sein, versetzte sie in Panik. Doch genau das war es, was sie erreichen wollten!
Der silberne Glanz, der Vladimirs Leib einhüllte und den Unendlichen festgesetzt hatte, erlosch. Noch immer war das leise Klirren zu vernehmen, doch diesmal klang es weniger nach aneinandergeschlagenen Gläsern. Vielmehr erinnerte es Alexandra an ein boshaftes Kichern.
Vladimir kippte zur Seite und blieb reglos liegen, den Blick starr ins Nichts gerichtet, während über seinem Leib die Wolke langsam emporstieg und sich zu einer wirbelnden Nebelsäule verdichtete. Der Unendliche war schon in seiner Vampyrgestalt schwer zu bekämpfen gewesen, doch wie sollten sie gegen einen Gegner angehen, dessen Erscheinung nicht länger materiell war?
Konzentriere dich allein auf das Ritual und
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