Die Wiedergeburt
erkennen, dass er sich des Risikos durchaus bewusst und darauf vorbereitet war, seinem Bruder im Kampf gegenüberzutreten. Lucian war ein geübter Kämpfer, der es problemlos mit einem ganzen Mob aufnehmen konnte – sie hatte gesehen, wie er in Rosslyn mit den Handlangern seines Bruders fertiggeworden war –, doch zugleich fürchtete sie, dass er sich dabei zu sehr auf seine Unsterblichkeit verlassen und schlicht verdrängen würde, dass er diesmal nicht unbesiegbar sein würde.
»Robert wird Gavril im Auge behalten und dafür sorgen, dass er keine Dummheiten macht«, fuhr Lucian fort. »Falls Mihail ebenfalls bei ihm ist, wird er sich auch um ihn kümmern.«
»Was ist mit dem Lamienkraut?«, wollte Alexandra wissen. »Wird überhaupt etwas geschehen, wenn der Unendliche die Linien des Kreises verwischt?«
»Sobald er den Kreis berührt, und sei es auch nur an den äußersten Linien, tritt die Wirkung in Kraft.«
»Und wie willst du ihn dazu bringen?«
»Während du mit Gavril das Lamienkraut geholt hast, haben Robert und ich Kaminasche gesammelt. Wir werden also mehrere Kreise auf den Boden streuen. Unmittelbar am Treppenabsatz einen aus Asche. Andrej wird ihn sehen und darüber hinwegsetzen. Direkt dahinter werden wir das Lamienkraut auslegen, daneben noch einmal einen Kreis aus Asche.«
»Woher willst du wissen, dass er nicht in den zweiten Aschekreis tritt?«
»Das Lamienkraut befindet sich hinter der Asche, auf dem Weg zwischen der Treppe und dir. Er wird davon ausgehen, dass wir es genau dort einsetzen werden. Mein erster Impuls war, dort noch einmal Asche auszustreuen und das Lamienkraut rechts davon auszulegen, doch Andrej kennt mich. Er weiß, dass ich das tun würde, und deshalb wird er den direkten Weg wählen – und uns in die Falle gehen.«
Ich hoffe, du irrst dich nicht. »Was passiert, wenn du deinen Bruder nicht vernichten kannst?«, sprach sie ihre größte Sorge aus. »Wenn einfach gar nichts passiert?«
Lucian blickte grimmig entschlossen drein. »Ich habe Gavril mein Wort gegeben, dass ich alles versuchen werde, um Vladimir zu retten. Wenn sich jedoch abzeichnet, dass das Ritual keinen Einfluss auf Andrej hat, kann ich kein weiteres Risiko eingehen. Dann werde ich ihn töten, bevor das Ritual vollendet und das Kreuz zerstört ist.« Er griff nach ihrer Hand. »Was auch immer geschieht, konzentriere dich allein auf das Ritual und achte nicht darauf, was um dich herum passiert. Robert und ich werden dich beschützen.«
»Lucian –«
»Wenn alles gut geht, wird Andrej aus dem Körper des Jägers gerissen und ich kann ihn töten, lange bevor das Ritual vollendet ist. Ganz gleich, was auch passiert: Du musst die Zeremonie ohne Unterbrechungen abhalten. Wir brauchen das Ritual, um ihn aus seinem Versteck zu zwingen. Hör nicht auf, bis ich dir sage, dass du aufhören kannst. Ich will nicht, dass du Rücksicht auf mich nimmst, hörst du?«
Und ich will dich nicht umbringen . Obwohl ihr die Worte auf der Zunge lagen, sprach Alexandra sie nicht aus. Dies war nicht der geeignete Zeitpunkt, um ihn mit ihren Ängsten zu belasten. Lucian musste sich auf den bevorstehenden Kampf konzentrieren. Jede Ablenkung wäre Gift für ihn. »Was muss ich tun?«
»Auf mein Zeichen hin entzündest du das Reisig unter der Schale. Vor jeder zeremoniellen Handlung ist ein Abschnitt der Formel zu rezitieren. Sie ist auf Latein. Sprich die Worte einfach, wie sie auf dem Papier stehen – langsam und deutlich. Nach dem ersten Abschnitt füllst du den Inhalt des ersten Tiegels in die Schale, dann folgt der nächste Absatz und danach der nächste Tiegel. Es ist alles in der korrekten Reihenfolge aufgestellt. Am Ende kommt das Weihwasser hinzu. Den dazugehörigen Abschnitt darfst du erst zu sprechen beginnen, wenn du das Weihwasser in die Schale schüttest, und musst ihn immer wieder wiederholen, bis die Mischung bereit ist.«
»Bereit?«
»Ich nehme an, du wirst es erkennen, wenn es so weit ist. Zumindest hoffe ich das. Sobald die Mischung fertig ist, musst du sie über das Kreuz schütten und dabei die abschließenden Worte sprechen. Mit ein wenig Glück kommt es gar nicht erst so weit.« Er sah sie lange an, ehe er sagte: »Du siehst müde aus. Schaffst du es?«
Abgesehen von ihrer Flucht aus dem Kloster war dies der erste Tag, seit Vladimir sie niedergeschossen hatte, an dem sie das Bett für mehr als ein paar Schritte verlassen hatte. Die zurückliegenden Stunden waren anstrengend gewesen und hatten den
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