Die Wiedergeburt
Reglosigkeit zu zwingen. Sah er denn nicht, dass sie es ohnehin nicht über sich bringen würde, ihm das Kreuz ins Herz zu stoßen, solange er sich in Lucians Körper befand?
Du musst es tun! , schrie alles in ihr. Doch sie konnte sich nicht einmal bewegen.
»Du verfügst über einen starken Willen. Zu schade, dass dir das auch nichts mehr nutzen wird.« Sein Finger krümmte sich um den Abzug. Doch ehe er schießen konnte, stürzte sich Bothwell auf ihn. Der Unendliche lachte nur und schüttelte den Mann ab, als sei er lediglich ein lästiges Insekt. Die Wucht seines Schlages reichte aus, Bothwell gegen die Wand zu schleudern. Mit einem dumpfen Laut stürzte er zu Boden und blieb neben dem reglosen Mihail liegen.
Der Unendliche ließ seinen Blick über das Plateau schweifen. Seine Augen streiften über Gavril, Vladimir, Mihail und Bothwell, ehe sie sich erneut auf Alexandra richteten. Es war nicht länger nötig, sie unter seinen Bann zu zwingen. Die Furcht, die sich eisig kalt in ihrem Innersten ausbreitete, lähmte sie ohnehin.
»Es sieht ganz danach aus, als wäre das nun eine Sache zwischen dir und mir«, bemerkte der Unendliche in einem Ton, als würde er über das Wetter plaudern. Seine Worte täuschten nicht darüber hinweg, dass er noch immer eine geladene und entsicherte Pistole in Händen hielt. »Dieser Körper ist um so vieles besser als der des Jägers. Er gibt mir die Fähigkeit zurück, meine Fangzähne zu benutzen. Endlich kann ich meinen Durst wieder stillen, ohne mich eines Hilfsmittels bedienen zu müssen, um die Adern zu öffnen.« Er grinste und entblößte messerscharfe Reißzähne. »Ich werde dich nicht erschießen«, fuhr er fort. »Viel lieber möchte ich dein Blut kosten. Du hast die Wahl: Willst du hier ausbluten wie deine Mutter? Oder soll ich dir das ewige Leben schenken und dich zu meiner Gefährtin machen?«
Alexandra kämpfte gegen die Erinnerungen an, die in ihr aufstiegen. Sie verdrängte das Bild ihrer Mutter, die schlaff in den Armen des Unendlichen hing, während er sich an ihrem Blut labte, und wehrte sich dagegen, in seinen vertrauten Zügen Lucian zu sehen. Vor ihr stand nicht länger der Mann, den sie liebte, sondern eine Bestie! Wenn es auch nur die geringste Hoffnung geben sollte, gegen ihn zu bestehen, musste sie ihn auch als solche behandeln. Ihre Finger schlossen sich um das Kreuz.
»Leg es weg!«, verlangte der Unendliche und kam näher.
Alexandra packte noch fester zu und machte sich zum Sprung bereit, als plötzlich ein Ruck durch den Unendlichen ging. Er blieb stehen. Etwas in seinen Augen hatte sich verändert, die Kälte war gewichen, doch seine Züge waren angespannt.
Das Kreuz noch immer umklammernd, fragte sie vorsichtig: »Lucian?«
*
Der Kampf gegen Andrej hatte Lucian einen Großteil seiner Kraft gekostet. Es verlangte ihm einiges ab, den Unendlichen, dessen Essenz sich noch immer in seinem Leib befand und danach trachtete, erneut die Oberhand zu gewinnen, unter Kontrolle zu halten. Alexandra anzusehen war grausam. Er sah die Erleichterung in ihren Augen. Ein Anblick, der ihn zutiefst berührte, denn das Gefühl war aus der Hoffnung geboren, ihn – Lucian – nicht verloren zu haben. Zugleich schmerzte es ihn, sie so zu sehen, wusste er doch, dass er ihr die Zuversicht wieder nehmen musste.
In seinem Innersten drängte Andrej an die Oberfläche. Er tobte und wütete und versuchte sich aus dem Winkel seines Verstandes zu befreien, in den Lucian ihn gezwungen hatte. Dabei setzte er all seine Kräfte ein, so gewaltig, dass sie Lucian beinahe einknicken ließen. Dennoch zwang er sich, die Barriere aufrechtzuerhalten, hinter die er seinen Bruder verbannt hatte. Allerdings wusste er nicht, wie lange er dazu noch imstande sein würde.
Bei vollem Bewusstsein ein Gefangener in seinem eigenen Körper zu sein, alles zu sehen, was um ihn herum geschah, ohne etwas ausrichten zu können, war die schlimmste Folter gewesen, die er je erlebt hatte. Er hatte mit ansehen müssen, wie sein Bruder Alexandra bedrohte und Robert niederschlug. Zornig hatte er an den Gittern seines Gefängnisses gerüttelt und vergeblich versucht, sich zu befreien. Die Vorstellung, Andrej könne erneut die Oberhand gewinnen und ihn womöglich auf ewig in dieses Gefängnis zwingen, war kaum zu ertragen. Was ihn jedoch beinahe um den Verstand brachte, war der Gedanke, was Alexandra dann zustoßen würde. Andrej würde sie töten, denn einer Sache war er sich sicher: Sie würde
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