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Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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daraus emporzüngelten, griff sie nach dem Pergament. War es ihr zuvor noch leicht erschienen, die einzelnen Worte abzulesen und auszusprechen, so war sie sich dessen plötzlich weit weniger sicher. Stockend verließen die ersten Worte ihren Mund. Anfangs fiel es ihr schwer, die Geräusche auszublenden, die von unten an ihr Ohr drangen. Sie zwang ihre Augen auf die vergilbten Zeilen und folgte ihnen Buchstabe um Buchstabe, bis sie nichts anderes mehr vernahm als ihre eigene Stimme.
    Endlich fand sie ihre innere Mitte. Die Welt um sie herum begann zu schwinden und zu schrumpfen, bis sie nur mehr aus den alten Schriften und den Ingredienzien vor ihr zu bestehen schien.
    Am Ende des ersten Abschnittes, als sie nach einem der Tontiegel griff, die Lucian bereitgestellt hatte, bemerkte sie eine Bewegung. Den kleinen Tontopf in der Hand, hob Alexandra den Kopf und sah Vladimir auf der Treppe. Er hatte sich während der vergangenen Stunden noch mehr verändert und schien inzwischen mehr Ähnlichkeit mit Lucian zu haben als mit seinem einstigen Selbst. Wie kann es sein, dass Mihail ihm noch immer folgt, ohne etwas von den Veränderungen zu bemerken? Doch die Antwort lag auf der Hand: Der Unendliche zwang ihn mit seinem Blick unter seinen Bann und suggerierte ihm, den Freund vor sich zu haben, den er seit so vielen Jahren kannte.
    Ohne den Blick vom Unendlichen – und dem, was von Vladimir geblieben war – zu lösen, brach Alexandra die Versiegelung des Tongefäßes. Der Unendliche blieb auf der vorletzten Stufe stehen: Erst da sah sie die Doppelläufige in seiner Hand. Er hob den Arm, um auf sie anzulegen, und ließ ihn wieder sinken, als sein Blick auf den ersten Pulverkreis fiel.
    »Du gerissenes kleines Miststück!« Er runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist nicht deine Art. Das sieht nach meinem Bruder aus. Wo ist er?«
    Statt zu antworten, entfernte Alexandra die Reste des Wachsrandes, der den Deckel auf dem Gefäß hielt. Mit einem leisen Knacken löste er sich, fiel herab und offenbarte den Blick auf einen zähen Sud, der kaum den Boden bedeckte.
    Der Unendliche hob die Pistole und legte auf sie an. Alexandra, die den Tiegel bereits über die Schale hielt, erstarrte. Ein dumpfer Laut zu ihrer Linken riss sie jedoch sofort wieder aus ihrer Lähmung. Lucian war von der Plattform gesprungen und rannte auf sie zu. Er wird mich nicht rechtzeitig erreichen! ,schoss es ihr durch den Kopf. Da wurde der Unendliche zur Seite gestoßen. Gavril stürmte an ihm vorbei, auf Alexandra zu. Er hatte sie beinahe erreicht, als der Unendliche sein Gleichgewicht wiedererlangte und die Doppelläufige erneut anlegte. Gavril fuhr herum. Im selben Augenblick, als der Erste Vampyr die Waffe abfeuerte, warf er sich vor Alexandra. Sie schrie auf, als er sich an die Brust fasste und zu Boden stürzte.
    »Mach weiter«, keuchte Gavril, das Gesicht vor Schmerz verzogen. Seine Lider flatterten und senkten sich herab, dann regte er sich nicht mehr. Alexandra vermochte nicht einmal zu sagen, ob er noch atmete.
    »Das Ritual!« Lucians Stimme riss sie aus ihrer Starre. »Schnell!« Er hatte sie endlich erreicht und baute sich zwischen ihr und der Treppe auf, als der Unendliche erneut die Waffe hob.
    Alexandra schüttete den Sud in die Schale. Zäh rann er über den Rand des Tontopfes und floss in einem einzigen Tropfen heraus. Es zischte, als die Flüssigkeit das heiße Gusseisen berührte. Ein scharfer Geruch stieg ihr in die Nase, so beißend, dass sie Mühe hatte, den Niesreiz zu unterdrücken. Als sie das Pergament zur Hand nahm, um den nächsten Vers zu lesen, sah sie aus dem Augenwinkel, wie der Unendliche das Pulver betrachtete, das vor ihm den Boden bedeckte.
    »Denkst du wirklich, das wird dir etwas nutzen?«, fragte er Lucian. Sein Blick schweifte von einem Pulverkreis zum nächsten, dann zu Lucian und wieder zurück zu den Kreisen. Ein boshaftes Grinsen verzerrte seine Lippen, als er über den vorderen hinwegsetzte und noch im Sprung die Pistole hob und sie auf Lucian richtete.
    Alexandra hielt den Atem an.
    Der Unendliche schoss im selben Augenblick, als seine Füße den Steinboden berührten. Ein Flirren erfüllte die Luft, ähnlich einem Hitzeflimmern. Die Luft um den Unendlichen herum funkelte silbern und sandte ein leises Klirren über das Plateau, das sich anhörte, als würden zwei Weingläser sanft aneinandergeschlagen. Die Kugel, die Lucian hätte treffen sollen, zischte an ihm vorüber und schlug neben

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