Die Wiedergeburt
Splitters abzeichneten.
»Ich wollte es zerstören.«
Er sah auf. »Die einzige Waffe, die mir gefährlich werden kann?«
Alexandra holte den Splitter aus der Schublade und wickelte ihn aus dem Tuch. Wie gewöhnlich er aussieht , dachte Lucian, während er den langen Splitter in ihrer Hand betrachtete. Nicht mehr als ein Stück Holz. Und doch würde es bei bloßer Berührung seine Haut versengen und sein Fleisch verbrennen. Den Splitter nur im Haus zu haben genügte, um Lucian verwundbar werden zu lassen. Ein befremdendes Gefühl für jemanden, der seit Jahrhunderten keine Gefahr kannte. Trotzdem machte ihm das keine Angst.
Einen Moment lang drehte Alexandra den Splitter nachdenklich hin und her, ehe sie ihn wieder in das Tuch wickelte und zurück in die Schublade legte. »Ich habe das Kreuz ins Feuer geworfen.« In knappen Worten berichtete sie von ihren vergeblichen Versuchen, das Schwarze Kreuz zu vernichten. »Als ich merkte, dass sich der Splitter bewegen ließ, habe ich ihn herausgelöst und in meinen Stiefel geschoben, während ich das Kreuz wieder versteckte.«
»Das erklärt noch immer nicht, warum Sie die Stadt verlassen wollten.«
»Ich wollte so viel Abstand wie möglich zwischen das Kreuz und die Jäger bringen.« Und ich wollte so weit wie möglich von Ihnen weg , sagten ihre Augen, als sie Lucian ansah. »Ich hatte gehofft«, fuhr sie ohne Unterbrechung fort, »dass die Jäger nur nach dem Kreuz suchen und nicht bemerken würden, dass der Splitter fehlt. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das Kreuz ohne ihn tatsächlich nutzlos ist.«
»Das ist es«, bestätigte Lucian. »Es ist der Splitter, der mir schadet, nicht seine Fassung.« Als er Alexandra aus den Fängen der Jäger befreite, hatten ihn seine Instinkte gewarnt, dass er sich in Gefahr befand. Er hatte das Kreuz in den Händen eines Jägers gesehen, doch die Gefahr war nicht von ihm ausgegangen, sondern von Alexandra. Erst später, als er den Splitter in ihrem Stiefel gefunden hatte, war ihm alles klar geworden.
»Wissen Sie es, wenn der Splitter in Ihrer Nähe ist?«
Lucian nickte.
Es gelang ihr nicht, ihr Erstaunen zu verbergen. »Dann wussten Sie, was Sie in der Pension erwartet! Und trotzdem sind Sie gekommen. Warum haben Sie das getan?« Ehe er antworten konnte, hielt sie eine Hand in die Höhe, die ihm Einhalt gebot. »Und sagen Sie jetzt nichts über Schicksal!«
Er hatte schon bei anderen Gelegenheiten bemerkt, wie sehr sie seine Worte über Schicksal verwirrten, vielleicht sogar ängstigten – trotzdem rückte der Zeitpunkt näher, an dem er mit ihr darüber sprechen musste. Jetzt jedoch war die Antwort weitaus einfacher. »Wie könnte ich zulassen, dass Ihnen meinetwegen etwas zustößt?«
»Warum waren Sie überhaupt dort?« Sie zupfte an ihrem Brot herum und suchte nach Worten. »Haben Sie …«
»Gespürt, dass etwas nicht stimmt?«, half er aus. Dann nickte er. Es entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er hatte es nicht nur gespürt, sondern auch gesehen, als er vorletzte Nacht einmal mehr vor ihrem Fenster gestanden hatte.
Nach allem, was sie durchgemacht hatte, war es vermutlich nicht ungewöhnlich, dass die Erinnerungen sie um den Schlaf brachten. So sehr er sich auch wünschen mochte, die Last der Vergangenheit von ihr nehmen zu können, wusste er doch, dass das nicht in seiner Macht lag. Noch mehr als ihre Albträume beunruhigte ihn das unbestimmte Gefühl einer nahenden Bedrohung, das in jener Nacht beinahe greifbar in der Dunkelheit gelauert hatte. Da er während des Tages nicht vor ihrem Fenster wachen konnte, hatte er Robert gebeten, ein Auge auf sie zu haben. So hatte er in Erfahrung gebracht, dass sie vorhatte, die Stadt zu verlassen, ehe Alexandra ihn im Mary King’s Close abschütteln konnte.
Nachdem Lucian erfahren hatte, dass sie abreisen wollte, hatte er sich eingeredet, dass es besser wäre, sie gehen zu lassen. Doch das konnte er nicht!
An diesem Abend war er gekommen, um noch einmal mit ihr zu sprechen. Wenn sie ihm ins Gesicht sagte, dass sie ihn nicht in ihrer Nähe haben wollte, und ihre Augen sie dabei nicht Lügen straften, würde er sie nicht länger belästigen.
Aus Gewohnheit erklomm er das gegenüberliegende Dach und warf einen Blick durch ihr Fenster. Alexandra saß auf dem Stuhl, in sich zusammengesunken und nur noch von den Fesseln aufrechtgehalten. Einer der Jäger stand vor ihr und richtete seine Pistole auf sie. Lucian war durch das Fenster gesprungen. In einem Gewitter aus
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