Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
hervor. »Splitter …«
    Lucian legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Nicht sprechen«, sagte er mit belegter Stimme. »Du darfst dich jetzt nicht anstrengen. Halt ganz still. Bald wirst du wieder gesund sein.«
    Sie entzog ihm ihre Hand und fasste mit zitternden Fingern in ihren Ärmel. Mit letzter Kraft zog sie die zusammengefalteten Blätter hervor, die sie aus dem Buch gerissen hatte, und griff nach seiner Hand. »Ritual …«, keuchte sie atemlos, als sie seine Finger darum schloss. Sie rang um Worte, sammelte immer wieder Kraft, um ihm zu sagen, dass das Kreuz und der Splitter nur gemeinsam zerstört werden konnten. Lucian musste es erfahren! Doch die Finsternis löschte jedes Wort, wie sie auch jeden Gedanken auslöschte.
     
    *
     
    Als Alexandra in seinen Armen erschlaffte, ließ Lucian die Papiere fallen, die sie ihm gegeben hatte. Vorsichtig öffnete er ihren Mantel und schob den Stoff zur Seite. Überall war Blut, dessen süßes Aroma ihm in die Nase stieg und die Bestie in ihm zum Leben erweckte.
    Zu viel Blut! Er versuchte seine Sinne vor der Versuchung zu verschließen und tastete mit den Fingerspitzen nach jener Stelle an ihrem Hals, wo der Schlag ihres Herzens am stärksten zu spüren war. Ihr Puls war schwach und unregelmäßig. Die Wunde musste versorgt werden, andernfalls würde er sie verlieren. Doch er konnte es nicht tun. Schon jetzt fiel es ihm erschreckend schwer, neben ihr zu verharren, ohne ihr die Zähne in den Leib zu schlagen und sich an ihr zu laben. Die Bestie in ihm gewann zunehmend die Oberhand. Er kämpfte dagegen an, doch der Geruch ihres Blutes erfüllte ihn bis in die letzte Faser. So sehr, dass er glaubte, es auf seiner Zunge zu schmecken. Sein Körper veränderte sich, die Zähne wurden zu langen scharfen Waffen, die Hände zu gefährlichen Klauen. Ein leises Grollen stieg in seiner Kehle auf. Seine Sinne gewannen an Schärfe. Geräusche wurden deutlicher, Gerüche eindringlicher und sein Blick drang selbst in die schattigsten Winkel des Altarraums vor. Das süße Aroma erfüllte seine Sinne, bis er sich danach verzehrte, seinen Mund mit ihrem Lebenssaft zu füllen.
    Koste es , verlangte die Bestie in ihm. Das willst du doch schon so lange!
    »Niemals!« Lucian legte Alexandra vorsichtig auf den Boden und wich zurück.
    Sie ist ohnehin für dich verloren , versuchte die Kreatur ihn zu verführen. Trink!
    Er konnte sie retten, das wusste er. Nicht selbst. Dazu war die Wunde zu schwerwiegend. Zu verlockend. Doch er konnte sie zu einem Arzt bringen, wenn es ihm nur gelang, der Versuchung lange genug zu widerstehen.
    Hast du dir nicht immer gewünscht, dass sie bei dir bleibt? , flüsterte die Bestie. Dies ist deine einzige Hoffnung. Gib ihr den Kuss des Blutes. Trink von ihr!
    »Nein!«, keuchte er. Das würde er ihr nicht antun. Niemals! Er schloss die Augen und zwang sich, jeden Gedanken an ihr Blut aus seinem Geist zu bannen.
    »Robert!«, brach es aus ihm heraus.
    Kaum hatte er nach ihm gerufen, erklangen Schritte. Einen Augenblick später war Robert an seiner Seite. »Er ist mir entkommen.« Er wollte noch mehr sagen, doch als er Lucians Züge sah, verstummte er und blieb stehen. »Lucian?«, fragte er vorsichtig.
    Roberts vertraute Stimme war wie ein Anker. Lucian klammerte sich daran, während er gegen das Begehren ankämpfte, das die Bestie über ihn brachte. »Bring sie zu einem Arzt!«, verlangte er und wich noch weiter vor ihr zurück. »Schnell! Sonst stirbt sie!«
    Einen Moment lang zögerte Robert. Sein Blick zuckte zwischen Lucian und Alexandra hin und her. Dann eilte er an Alexandras Seite und hob sie hoch. Ehe er die Kathedrale verließ, hielt er noch einmal inne und wandte sich zu Lucian um. Es sah aus, als wolle er etwas sagen, dann jedoch schüttelte er den Kopf und ging.
    Lucian kniete auf dem Boden und starrte auf die Blutlache, das Einzige, was ihm von Alexandra geblieben war. Er wird sie retten! Robert würde einen Arzt finden. Sie wird nicht sterben! Als er aufsah, hatte die Bestie ihn verlassen. Seine Hände waren nicht länger zu Klauen verkrümmt, die spitzen Zähne, die sich zuvor noch in die Innenseite seiner Lippe gegraben hatten, hatten wieder ihre normale Länge. Seine Sinne waren noch immer schärfer als die eines normalen Menschen, doch es waren nicht länger die Sinne der Bestie, durch die er die Welt wahrnahm.
    Seit dem Augenblick, als ihm Robert auf der Royal Mile begegnet war, hatte er gewusst, dass er Alexandra niemals hätte allein

Weitere Kostenlose Bücher