Die Wiedergeburt
gehen lassen dürfen. Sie hatten St. Giles gerade erreicht, als ein Schuss aus dem Inneren zu hören war. Er hatte ihre Qualen gespürt. Dennoch hatte er gehofft, dass er sich irrte. Dann jedoch hatte er sie gesehen. Ein Anblick, der all seine Hoffnung zerschmettert hatte. Er erinnerte sich undeutlich daran, dass der Jäger auf ihn geschossen und kurz darauf die Flucht ergriffen hatte. Während er an Alexandras Seite geeilt war, hatte Robert den Jäger verfolgt.
Er ist mir entkommen.
Womöglich sollte er Robert folgen, um sicherzustellen, dass Vladimir nicht noch einmal angriff. Doch im Augenblick war er selbst eine größere Gefahr für Alexandra als ihr einstiger Weggefährte. Sein Blick fiel auf die zusammengefalteten Blätter, die sie ihm gegeben hatte. Er hob sie zusammen mit der Pistole und dem Stilett auf, schob alles in seine Manteltasche und machte sich auf den Weg nach Canongate.
*
Die Jägerin in seinen Armen wog weitaus leichter als Roberts Gewissen.
Nachdem er mit ihr die Kathedrale verlassen hatte, dachte er daran, sie in einem Hinterhof zwischen Unrat und Ratten zurückzulassen. Sollte sie doch verrotten!
Als er in Canongate von den Jägern gehört hatte, dass Vladimir sich auf dem Weg nach St. Giles befand, war er zu dem Schluss gekommen, dass sie den Tod nicht verdient hatte. Sie wusste nicht einmal, dass diese Prophezeiung existierte. Deshalb hatte er in Canongate entschieden, ihr zu Hilfe zu eilen. Doch er war zu spät gekommen. Womöglich war das ein Zeichen!
War es der Wille Gottes, dass sie starb? Wenn dem so war, würde er ihr Schicksal in die Hände des Herrn legen. Gott allein sollte entscheiden, ob sie lebte oder starb – kein Arzt!
Er hastete die Royal Mile entlang, als sich Alexandra regte. Ihr Blick war verschleiert und Robert bezweifelte, dass sie ihn überhaupt erkannte.
»Lucian?«, flüsterte sie an seiner Schulter.
»Er ist fort«, sagte Robert kalt.
»Gegangen?« Ihre Stimme war nicht mehr als ein schwacher, kaum verständlicher Hauch.
»Schließen Sie die Augen und ruhen Sie sich aus.« Robert drückte ihren Kopf an seine Schulter, sodass er nicht länger ihrem Blick ausgesetzt war, und richtete die Augen geradeaus, auf das Kopfsteinpflaster. »Es ist vorbei. Lucian wird nicht noch einmal in Ihre Nähe kommen. Er hat endlich begriffen, dass alles, was er für Sie zu empfinden glaubte, nicht mehr war als die Faszination am Spiel mit dem Feuer.«
Der Laut, der sich daraufhin ihrer Kehle entrang, ließ ihn zusammenzucken. Es klang wie ein Schluchzen. Womöglich war es auch nur der Wundschmerz, der sie aufkeuchen ließ. Eine Erklärung, bei der er sich weitaus besser fühlte als bei der Vorstellung, der Jägerin mit seinen Worten das Herz gebrochen zu haben.
Sie lag nun wieder ganz still an seiner Brust. Robert war nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch atmete.
Gott wird über ihr Schicksal befinden.
Auf der anderen Seite des Netherbow schlug er denselben Weg ein, auf dem er heute Nachmittag ihrem Kameraden gefolgt war. Vor dem Haus der Jäger hielt er inne. Mihail hatte die Unterkunft erst vor Kurzem verlassen und Vladimir war vermutlich noch nicht zurückgekehrt. Wenn es Gottes Wille war, dass sie am Leben blieb, würde sich der junge Jäger ihrer annehmen. Andernfalls fand ihre Reise nun ein Ende.
Er stieß das Gartentor auf. Der Kies knirschte unter seinen Stiefeln, als er dem kurzen Weg zur Haustür folgte. »Es ist an der Zeit, dass Sie zu ihresgleichen zurückkehren.« Er legte sie auf die Schwelle, griff nach dem Türklopfer und schlug ihn dreimal gegen das Holz. Mit einem letzten Blick auf Alexandra machte Robert kehrt und verließ das Grundstück. Er rannte die Straße entlang, in dem Bestreben, außer Sicht zu sein, ehe der Jäger die Tür öffnete. Alexandras Anblick jedoch, wie sie da auf der Schwelle lag, bleich wie der Tod, eingehüllt in wirbelnde Schneeflocken, würde ihn auf ewig verfolgen – ganz gleich, wie schnell er auch laufen mochte.
*
Sie hat es nicht geschafft.
Roberts Worte hatten sich wie Gift in Lucians Verstand gefressen und dort, wo sein Herz war, nur Leere hinterlassen. Er war nicht imstande gewesen, etwas zu sagen oder Fragen zu stellen. Stattdessen war er aufgestanden, hatte den Salon verlassen und war nach oben gegangen. Er musste allein sein. Der Gedanke an Gesellschaft oder an tröstende Worte war ihm unerträglich. Er wollte kein Mitleid und kein Bedauern. Alles, was er wollte, war sie: Alexandra!
Vor der
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