Die Wiedergeburt
schoss.
Alexandra warf sich zur Seite. Die Kugel, die für ihr Herz bestimmt gewesen war, traf sie unterhalb der Brust, zerfetzte Haut, Fleisch und Sehnen und ließ einen glühenden Feuerball aus Qual in ihrem Leib explodieren. Die Finger um ihre Pistole geklammert, versuchte Alexandra auf ihn anzulegen, als ihr der Boden entgegenstürzte. Der Aufprall war so hart, dass ihr die Waffe entglitt.
Der brennende Schmerz in ihren Eingeweiden griff nach ihrem Bewusstsein und trachtete danach, es auszulöschen. Über ihr ragte Vladimir auf. Mit dem Fuß fegte er ihre Pistole fort, dann trat er ihr in die verletzte Seite. Alexandra schrie. Keuchend vor Schmerz und kaum fähig zu atmen, versuchte sie von Vladimir fortzukriechen.
Lucian! Er musste das Ritual bekommen. Andernfalls wäre alles vergebens gewesen.
»Du hast gedacht, du hättest mich vernichtet. Doch du hast dich geirrt. Sieh mich an, Jägerin«, drang Vladimirs Stimme durch den Nebel, der ihr Bewusstsein umgab. »Ich will deine Augen sehen, wenn ich dich töte!«
Alexandra hob den Kopf. Vernichtet? Sie versuchte Vladimir zu fixieren, doch es wollte ihr nicht gelingen, mehr zu erkennen als die auf sie gerichtete Pistole. Ihre Doppelläufige. Alles, was dahinterlag, verschwamm in den Schatten. Sie tastete nach dem Stilett, doch auch das trat er ihr aus der Hand. Der Schmerz ließ sich kaum noch ertragen und sie wünschte sich beinahe schon, die Ohnmacht möge endlich kommen und sie erlösen. Doch wenn sie jetzt das Bewusstsein verlor, würde sie nicht wieder erwachen. Dann gab es keine Hoffnung mehr.
Was mache ich mir vor? Es gab keine Möglichkeit, dem tödlichen Schuss zu entgehen. Als ein Donnern die Stille durchbrach, zuckte sie nicht einmal mehr zusammen. Über ihr fuhr Vladimir herum. Die Pistole im Anschlag, bewegte er sich langsam von ihr fort. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass nicht er es war, der geschossen hatte. Alexandra hob den Kopf. Ein mühsames Unterfangen, das sie einen Großteil ihrer verbliebenen Kraft kostete. Sie erhaschte einen Blick auf das Eingangsportal. Die beiden Flügel waren aufgestoßen worden. Eingehüllt in einen Wirbel aus Schneeflocken, der Mantel im Wind aufgebauscht, stand Lucian im Eingang und blickte in den Altarraum.
Alexandra wollte ihn vor Vladimir warnen, der sich im Schutz der Säulen an ihn heranpirschte, doch mehr als ein heiseres Flüstern kam ihr nicht über die Lippen. Dann verließen sie ihre Kräfte und sie versank in Dunkelheit.
Sie glaubte Schüsse zu hören, deren Widerhall durch die Schwärze drang, die ihren Geist umfangen hielt, und versuchte die Augen zu öffnen, um zu sehen, was geschah. Doch es gelang ihr nicht, die nötige Kraft aufzubringen. Sie ging in einem Wirbel aus Geräuschen und Gefühlen unter, der sie immer weiter mit sich in die Tiefe riss und die Welt um sie herum auslöschte.
Dann hörte sie ihren Namen.
»Alexandra!«
Nur mit Mühe gelang es ihr, die Lider zu heben. Der Schmerz war fort. Da war nur mehr diese unendliche Müdigkeit. Und Kälte.
Über ihr kniete Lucian. Er hob ihren Oberkörper an und bettete sie in seinen Schoß. Es gab etwas, was sie ihm sagen musste, doch was war es? Beinahe schien es ihr, als wäre mit dem Schmerz auch ihre Erinnerung verflogen. Alles, was sie sah, war die Angst in seinem Blick. Sie wollte ihm sagen, dass er ihretwegen nicht traurig sein durfte. Aber sie brachte keinen Ton heraus.
Warum war es so kalt? Viele der Fenster waren zerstört, sodass die Kälte ungehindert in die Kathedrale kriechen konnte. Jetzt jedoch erschien sie ihr weitaus durchdringender als zuvor. Sie kroch in ihre Knochen und nistete sich dort ein, wo zuvor nur Schmerz gewesen war.
Lucian zog sie enger an sich. »Alles wird gut«, sagte er leise. Was sie jedoch in seinem Blick fand, strafte seine Worte Lügen. Alexandra wollte ihm die Angst nehmen. Unter großer Mühe hob sie die Hand und strich ihm über die Wange. Seine Haut fühlte sich feucht an, doch sie war sich nicht sicher, ob es Tränen waren, die sie da spürte, oder nur ihr eigenes Blut an ihren Fingern. Er griff nach ihrer Hand, führte sie an seine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. Die ganze Zeit über sprach er mit ihr, beruhigende Worte, von denen sie kaum mehr als Bruchteile verstand. Immer weiter zogen sich ihre Sinne zurück. Ehe die Schwärze sie vollends erreichte, streifte ein Gedanke ihr Bewusstsein. Das Ritual. Nun wusste sie wieder, was sie ihm sagen musste.
»Das … Kreuz«, presste sie mühsam
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