Die Wiedergeburt
Kopf schüttelte.
»Später. Bitte.«
Er sah sie erschrocken an. »Natürlich. Entschuldige, du solltest dich ausruhen.« Noch einmal zog er sie an sich und strich ihr über den Rücken. »Ich bin froh, dass du wieder hier bist.«
Das bin ich auch. »Ich weiß.«
Seine Worte waren freundlich, zugleich schien er mit sich zu ringen, als versuche er, sie nicht mit dem vollen Ausmaß seiner Gefühle zu konfrontieren. Doch dazu war es zu spät. Sie hatte in seine Seele geblickt. Die Liebe, die sie in der Bibliothek gespürt hatte, machte ihr ebenso viel Angst wie die Trauer und Verzweiflung, auf die sie im Kloster gestoßen war. Wie konnte jemand derart stark empfinden? Für sie! Wann immer sie Zugang zu seinen Gefühlen erhaschte, fühlte sie sich davon überrollt, als fege eine donnernde Sturmflut über sie hinweg. Es war erschreckend. Zugleich fühlte es sich wunderbar an, geliebt zu werden.
Lucian gab sie frei und stand auf. »Schaffst du es, dich abzutrocknen und umzuziehen?«
Als sie nickte, entfernte er sich einige Schritte und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. Schwerfällig streifte sie das nasse Nachthemd über den Kopf und wischte sich die Feuchtigkeit von der Haut, die der Regen dort hinterlassen hatte. Der Verband war nass und leicht gerötet. Die Wunde musste sich bei ihrer Flucht geöffnet haben.
»Ich rieche Blut«, sagte Lucian, ohne sich umzudrehen. »Stimmt etwas nicht?«
»Es ist nur ein wenig durch den Verband gesickert«, beruhigte sie ihn.
»Ich hole frische Bandagen.« Ehe Alexandra etwas erwidern konnte, war er schon zur Tür hinaus. Sie legte das Handtuch zur Seite und schlüpfte in das saubere Nachtgewand, das Lucian ihr hingelegt hatte. Jede Bewegung kostete sie Mühe. Alles ging nur langsam vonstatten. Sie hatte den Stoff gerade zurechtgezogen, als Lucian zurückkehrte.
Er legte ein Bündel Bandagen auf den Nachttisch, griff nach dem Handtuch und hielt es ihr entgegen. »Bedecke dich damit und schieb das Hemd weit genug hoch, damit ich die Wunde erreichen kann.«
Alexandra zögerte. Sie wollte ihm sagen, dass sie den Verband selbst wechseln konnte, doch das wäre gelogen gewesen. Auch wenn sie ein wenig Kraft geschöpft hatte, steckte ihr die Erschöpfung noch immer in den Knochen. Als er sich erneut abwandte, schob sie das Nachthemd nach oben und bedeckte ihren Unterleib mit dem Handtuch. »Du kannst dich jetzt umdrehen.«
Lucian folgte ihrer Aufforderung. Sein Blick legte sich auf den blutigen Verband. »Als du angeschossen wurdest, wusste ich nicht, ob ich dem Blut widerstehen könnte«, sagte er leise und begann behutsam den Verband abzuwickeln. »Es war so viel. Der schiere Anblick ließ die Kreatur in mir jubeln.«
Seine Worte ließen Alexandra zusammenzucken. Jetzt, da der Verband fort war, sah sie, dass tatsächlich nur ein wenig Blut zwischen den Nähten hervorgesickert war. Lucians Blick hing unverändert an ihrer Seite. Beinahe andächtig fuhr er mit den Fingerspitzen darüber. »Ich kann es«, sagte er ehrfürchtig. »Ich kann widerstehen.«
Er begutachtete ihre Verletzung eingehend und untersuchte den Wundverlauf mit den Fingern. Das Fleisch war noch immer ein wenig geschwollen und die Berührung schmerzte, doch es war zu ertragen. Schließlich nickte er zufrieden. »Die Nähte haben gehalten. Nur noch ein neuer Verband, dann kannst du dich endlich hinlegen.«
»Mit Vladimir stimmt etwas nicht«, sagte Alexandra, während Lucian sich daranmachte, ihre Seite zu säubern. Ein wenig stockend und müde erzählte sie ihm von ihren eigenen Beobachtungen und davon, was Gavril über seinen Bruder gesagt hatte. »Als ich ihn vor der Nische gesehen habe – es war Vladimir und zugleich war er es nicht.«
Lucian runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Seine Augen. Da war etwas … Es kam mir vor, als seien es nicht seine Augen gewesen.« Ihr Blick ruhte noch immer auf Lucian, als ihr schlagartig klar wurde, was sie zuvor wahrgenommen hatte. »Es waren deine Augen!« Sobald sie es ausgesprochen hatte, schüttelte sie den Kopf. In Vladimirs Blick hatte die Wärme gefehlt. Da begriff sie, was sie gesehen hatte. »Nein, die deines Bruders!«
Lucian ließ das nasse Tuch sinken. »Andrej ist tot. Er existiert nicht mehr.«
Du hast gedacht, du hättest mich vernichtet. Doch du hast dich geirrt. Die Erinnerung an Vladimirs Worte ließ sie frösteln. Ihr war bewusst, dass ihre Vermutungen nur auf einem Gefühl und Wahrnehmungen beruhten, die sie gemacht hatte, als sie nicht
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