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Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Fenster, eine Decke um die Schultern gewickelt, und blickte in die Dunkelheit hinaus.
    Da sie vergangene Nacht derart erschöpft gewesen war, gefiel es ihm nicht, sie bereits auf den Beinen zu sehen. Als sie sich jedoch zu ihm umdrehte, war er beruhigt. Ihre Haut war von Natur aus hell, doch die ungesunde Blässe der letzten Stunden war aus ihren Zügen gewichen.
    »Wie geht es dir?«
    »Wenn man außer Acht lässt, dass mich die Vorstellung beunruhigt, dein Bruder könne noch immer hier sein, schon viel besser.«
    Lucian ging zu ihr. »Du solltest dich trotzdem wieder hinlegen.«
    »Ich weiß«, seufzte sie. »Aber ich habe während der letzten Wochen so viel gelegen, dass ich allmählich das Gefühl bekomme, dass mich die Langeweile umbringen wird, wenn es die Kugel schon nicht geschafft hat.«
    »Ich kann verstehen, dass du unruhig bist«, sagte er. »Trotzdem solltest du dich noch schonen. Mach dir keine Sorgen wegen Andrej. Falls deine Vermutungen zutreffen und er tatsächlich zurückgekehrt ist, werden wir einen Weg finden, ihn zu vernichten. Wir haben es einmal getan – wir schaffen es wieder. Diesmal endgültig.« Er legte ihr einen Arm um die Schulter und führte sie zum Bett zurück. Ihre Haut fühlte sich noch immer kühl an, selbst durch das Nachthemd hindurch, doch längst nicht mehr so eisig wie vergangene Nacht. Je länger er sie berührte, desto mehr konnte er ihre Wärme spüren, die durch den Stoff drang.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sagen würde«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, »aber als du nicht da warst … ich … du hast …«
    »Ich habe dir gefehlt?«, half er aus.
    Sie nickte und sah ihn nun doch an. »Wann immer ich Angst habe oder mich einsam fühle, greife ich nach dem Band«, flüsterte sie. »Zu spüren, dass du da bist, hat etwas Tröstliches.«
    Ihre Worte, gepaart mit der Unsicherheit in ihrem Blick, erfüllten ihn mit Freude. Womöglich mochte sie es sich noch immer nicht eingestehen, doch er war dabei, ihr Herz zu erreichen. Entgegen dem, was sie zu behaupten pflegte, besaß sie durchaus eines.
     
    *
     
    Als Alexandra am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich besser. Ihre Seite pochte leicht, und als sie das Bett verließ, war ihr anfangs schwindlig. Beides legte sich rasch. Was sich nicht legte, war das Durcheinander von Gedanken und Gefühlen, das sie seit gestern verfolgte. Während der Wochen im Kloster hatte sie Lucian so schmerzlich vermisst, dass es ihr nicht länger gelang, sich etwas vorzumachen. In seiner Nähe fühlte sie sich beschützt und sicher. Sie hatte ihn gern, doch es war mehr als bloße Anziehungskraft, die sie immer wieder zu ihm trieb. Was würden ihre Eltern sagen, wenn sie um ihre Gefühle wüssten? Wie sollte sie selbst damit umgehen?
    Sieh dir sein Gesicht an! , hallte eine Stimme von den Mauern ihrer Erinnerung wider. Das Schlafzimmer veränderte sich vor ihren Augen, und plötzlich war sie wieder im Gasthaus ihrer Eltern. Barfuß und nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet, stand sie in einem Meer aus Blut. Ein Röcheln erfüllte die Luft, und als Alexandra den Kopf hob, sah sie den Unendlichen, der sich über ihre Mutter beugte, die Zähne tief in ihrem Hals vergraben. Alexandras Mutter versuchte ihn von sich zu schieben, doch sie war längst zu schwach, um sich noch wehren zu können. Während das Leben aus ihrem Leib schwand, war ihr Blick auf Alexandra gerichtet. Wie könntest du diese Kreatur lieben! Der Vorwurf stand so deutlich in ihren Augen, dass Alexandra glaubte, die Worte hören zu können. Eine mordgierige Bestie!
    »Das ist nicht Lucian«, flüsterte sie. »Er ist keine Bestie!«
    Ihre eigene Stimme schreckte sie auf. Die Gaststube ihrer Eltern verschwamm, das Blut schwand, ebenso wie der Anblick ihrer Mutter, deren Leib schlaff im Griff des Unendlichen hing. Alexandra stand noch immer im Schlafzimmer und starrte auf den Boden.
    Die Erinnerung schmerzte – wie sie es immer getan hatte. Zugleich half sie Alexandra, sich endlich einzugestehen, was sie schon lange wusste. »Lucian ist keine Bestie«, wiederholte sie leise. »Er ist nicht wie sein Bruder.«
    Doch auch wenn sie längst kein Monster mehr in ihm sah, war er noch immer ein Vampyr. Wäre sie nach all den Jahren der Jagd überhaupt imstande, die Vergangenheit hinter sich zu lassen? Abgesehen davon würde sein Dasein ewig währen. Er würde nicht altern, niemals krank werden und nicht sterben. Ihre Lebensspanne hingegen war begrenzt. Was, wenn er

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