Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
konnte. Im Laufe von Jahren hatte ich ihn allmählich von jener Rauschgiftsucht entwöhnt, die einmal seine bemerkenswerte Karriere aufzuhalten drohte. Jetzt wußte ich, daß er unter normalen Umständen das Aufputschmittel nicht mehr benötigte; aber ich war mir sehr wohl bewußt, daß der Teufel nicht tot war, sondern nur schlief. Und ich hatte auch erfahren, wie leicht dieser Schlaf war und wie nah das Aufwachen, eben in Perioden des Müßiggangs, wenn das asketische Gesicht blutleer war und in den tiefliegenden, unergründlichen Augen ein brütender Ausdruck lag. Und so segnete ich diesen Mr. Overton, wer er auch sein mochte, weil er mit seiner rätselhaften Nachricht in die gefährliche Windstille einbrach, die mehr Gefahr für meinen Freund mit sich führte als alle Stürme seines unsteten Lebens.
Wie wir erwartet hatten, folgte dem Telegramm bald sein Absender; die Visitenkarte des Mr. Cyril Overton vom Trinity-College in Cambridge war Vorbote der Ankunft eines riesigen jungen Mannes, zwei Zentner solider Knochen und Muskeln, der die Tür mit seinen breiten Schultern ausfüllte und zwischen uns hin- und herblickte, mit einem hübschen Gesicht, das vor Angst verstört wirkte.
»Mr. Sherlock Holmes?«
Mein Gefährte verbeugte sich.
»Ich war schon bei Scotland Yard, Mr. Holmes. Ich habe mit Inspektor Stanley Hopkins gesprochen. Er riet mir, Sie aufzusuchen. Er sagte, der Fall sei, soweit er das beurteilen könne, eher etwas für Sie als für die Polizei.«
»Setzen Sie sich bitte und erzählen Sie mir, was los ist.«
»Es ist schrecklich, Mr. Holmes, einfach schrecklich. Ich wundere mich, daß ich keine grauen Haare bekommen habe. Godfrey Staunton – Sie haben natürlich von ihm gehört? –, also er ist der Angelpunkt, um ihn dreht sich das ganze Team. Ich würde lieber auf zwei Spieler aus dem Sturm verzichten, wenn ich Godfrey für die Dreiviertel-Reihe haben könnte. Ob es sich ums Handspiel handelt, um den Zweikampf oder ums Dribbeln – es gibt keinen, der an ihn heranreicht. Und dann spielt er auch noch mit Kopf und hält die Mannschaft zusammen. Was soll ich tun? Das wollte ich Sie fragen, Mr. Holmes. Ich habe Moorhouse aus der ersten Reserve, aber der ist auf Halbspieler gedrillt und ihn zieht es immer ins Gedränge, er kann nicht an der Aus-Linie bleiben. Gewiß, er hat einen satten Kick aber er übersieht das Spiel nicht und kann überhaupt nicht sprinten. Morton oder Johnson, die Oxford-Stürmer, würden jederzeit an ihm vorbeiziehen. Stevenson ist schnell genug, aber er könnte von der 25-mLinie keine Pässe abgeben, und einen DreiviertelSpieler, der keine anständigen Sprungtritte noch das Handspiel vorweisen kann, wird man nicht aufstellen, nur weil er schnell ist. Nein, Mr. Holmes, wir sind verloren, es sei denn, Sie helfen mir, Godfrey Staunton zu finden!«
Mein Freund hatte sich mit amüsiertem Staunen diese lange Rede angehört, die mit außergewöhnlicher Energie und Ernsthaftigkeit vorgetragen worden war, zusätzlich akzentuiert durch Schläge der muskulösen Hand aufs Knie. Als unser Besucher schwieg, reckte Holmes den Arm nach seiner Notizsammlung und schlug den Buchstaben S auf. Diesmal suchte er vergebens in dieser Fundgrube mannigfaltiger Information.
»Hier gibt es Arthur H. Staunton, das war der hoffnungsvolle junge Fälscher«, sagte er, »und einen Henry Staunton, dem habe ich an den Galgen verholfen. Aber der Name Godfrey Staunton ist neu für mich.«
Jetzt war die Reihe an unserem Besucher, erstaunt dreinzusehen.
»Aber Mr. Holmes, ich dachte, Sie sind ein informierter Mann«, sagte er. »Ich darf also annehmen, daß Sie noch nie von Godfrey Staunton gehört haben und auch nichts von Cyril Overton?«
Holmes schüttelte gut gelaunt den Kopf.
»Heiliger Bimbam!« rief der Athlet. »Ich war Ersatzmann für England im Spiel gegen Wales, und ich coache die Uni-Mannschaft dieses Jahr. Aber das ist noch gar nichts. Ich hatte nicht geglaubt, daß es eine Seele in England gibt, die Godfrey Staunton nicht kennt, den Crack unter den Dreiviertel-Spielern von Cambridge, Blackheath, und fünfmal international eingesetzt. Du lieber Himmel! Mr. Holmes, wo leben Sie denn?«
Holmes lachte über die naive Verwunderung des jungen Riesen.
»Sie leben in einer anderen Welt, Mr. Overton, in einer freundlicheren und glücklicheren. Ich beschäftige mich mit vielem in der Gesellschaft, aber noch nie hatte ich – und darüber bin ich
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