Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
machte einen Satz durch das Zimmer und wand ihr ein Fläschchen aus der Hand.
»Zu spät«, sagte sie und sank auf das Bett zurück. »Zu spät! Ich habe das Gift schon genommen, ehe ich das Versteck verließ. Mir dreht sich’s vor Augen, ich sterbe! Ich mache es Ihnen zur Pflicht, Sir, das Päckchen nicht zu vergessen.«
»Ein einfacher Fall, aber in mancher Hinsicht lehrreich«, bemerkte Holmes, als wir nach London zurückfuhren. »Von Anfang an hing alles von dem Kneifer ab. Aber ohne den Glücksumstand, daß der sterbende Mann ihn packen konnte – nein, ich bin nicht sicher, daß wir jemals zur Lösung gelangt wären.
Für mich stand fest, nachdem ich die Stärke der Gläser erkannt hatte, daß die Trägerin durch den Verlust fast blind und völlig hilflos sein mußte. Als Sie mir erklärten, sie wäre über einen schmalen Grasstreifen gegangen, ohne einen Fehltritt zu tun, traf ich die Feststellung, wie Sie sich erinnern werden, daß dies eine bemerkenswerte Leistung sei. Für mich selbst nannte ich es eine unmögliche Leistung, es sei denn, wir hätten es mit dem unwahrscheinlichen Fall zu tun, daß sie eine zweite Brille bei sich trug. So war ich also gezwungen, ernsthaft die Hypothese zu erwägen, daß sie im Haus geblieben sei. Als ich die Ähnlichkeit der beiden Korridore entdeckte, wurde mir klar, wie leicht sie hier einen Fehler begangen haben könnte, und in dem Falle lag es auf der Hand, daß sie in das Zimmer des Professors geraten sein mußte. Deshalb hatte ich ein wachsames Auge auf alles, was diese Annahme bestätigen konnte, und ich durchforschte das Zimmer des Professors nach etwas, das als Versteck dienen konnte. Der Teppich war ein durchgehendes Stück, zudem festgenagelt; so gab ich die Vermutung auf, es könne sich eine Falltür im Zimmer befinden. Vielleicht war eine Zuflucht hinter den Büchern. Wie Sie wissen, hat man solche kunstvoll angelegten Verstecke in alten Bibliotheken häufig. Ich beobachtete, daß im ganzen Zimmer Bücherstapel herumstanden, nur nicht vor dem einen Schrank. Hier lag möglicherweise der Eingang. Ich fand keine Spuren, an die ich mich hätte halten können, aber der Teppich war graubraun, eine Farbe, die für eine Untersuchung sehr günstig ist. Deshalb rauchte ich so viele von diesen ausgezeichneten Zigaretten, und ich streute die Asche vor den verdächtigen Bücherschrank. Das war ein simpler, aber äußerst wirkungsvoller Trick. Wir gingen dann nach unten, und ich versicherte mich in Ih rem Beisein, Watson, und ohne daß Sie den Trend meiner Bemerkungen ganz erfaßten, daß Professor Corams Verbrauch an Lebensmitteln gestiegen war – wie man erwarten durfte, wenn er eine zweite Person versorgte. Wir gingen wieder hinauf in das Zimmer des Professors, und indem ich das Zigarettenkästchen hinunterwarf, erlangte ich einen ausgezeichneten Überblick über den Teppich, und die Spuren auf der Zigarettenasche erwiesen klar, daß die Gefangene während unserer Abwesenheit aus ihrem Versteck gekommen war.
Nun, Hopkins, wir sind in Charing Cross. Ich gratuliere Ihnen, daß Sie Ihren Fall zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht haben. Sie gehen jetzt wahrscheinlich ins Präsidium. Und wir, Watson, fahren gemeinsam zur russischen Botschaft.«
Der verschwundene Rugby-Spieler
Wir waren durchaus daran gewöhnt, schicksalsschwere Telegramme in der Baker Street zu empfangen, aber eines, das uns vor sieben oder acht Jahren an einem trüben Februarmorgen erreichte und Mr. Sherlock Holmes eine Viertelstunde Verwirrung bescherte, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es war an ihn adressiert und lautete:
›Erwarten Sie mich bitte. Schreckliches Unglück. Der rechte Dreiviertel-Spieler fehlt. Morgen unentbehrlich. – Overton‹.
»Aufgegeben um zehn Uhr sechsunddreißig im Postamt Strand«, sagte Holmes und las den Text immer wieder. »Mr. Overton war anscheinend beträchtlich aufgeregt, als er es absandte, und irgendwie inkonsequent. Na gut, er wird hier sein, wage ich zu behaupten, wenn ich die ›Times‹ durchgesehen habe. Dann erfahren wir ja alles. In dieser Flaute wäre mir auch das unbedeutendste Problem willkommen.«
Tatsächlich ging es zu dieser Zeit bei uns sehr langsam voran, und ich hatte solche Perioden von Untätigkeit fürchten gelernt, denn ich wußte aus Erfahrung, das Hirn meines Gefährten war so abnorm auf Aktivität eingestellt, daß es gefährlich war, es ohne Material zu lassen, mit dem es sich beschäftigen
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