Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
von seinem Stuhl auf.
»Haben Sie mir nichts zu sagen?«
»Ich habe Ihnen alles gesagt.«
»Überdenken Sie es noch einmal, Lady Brakkenstall. Wäre es nicht besser, offen zu sein?«
Einen Augenblick lang lag Unentschlossenheit auf ihrem schönen Gesicht. Dann aber bewirkte ein gewichtiger Gedanke, daß es wieder zur Maske erstarrte.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
Holmes nahm seinen Hut und zuckte die Schultern. »Es tut mir leid«, sagte er, und ohne ein weiteres Wort verließen wir das Zimmer und das Haus. Im Park war ein Teich, und zu ihm lenkte mein Freund die Schritte. Er war zugefroren bis auf ein einziges Loch, das man wegen eines Schwans offenhielt. Holmes starrte das Tier an und ging dann weiter zum Pförtnerhäuschen. Dort brachte er eine kurze Nachricht für Hopkins zu Papier und übergab sie dem Pförtner.
»Vielleicht wird es ein Treffer, vielleicht geht es auch daneben, aber wir müssen etwas hinterlassen, um Freund Hopkins unseren zweiten Besuch zu erklären«, sagte er. »Ich möchte ihn jetzt nicht gern ins Vertrauen ziehen. Ich denke, unser näch stes Betätigungsfeld wird das Büro der AdelaideSouthampton-Schiffahrtslinie sein müssen; es liegt am Ende der Pall Mall, wenn ich mich recht erinnere. Es gibt noch eine zweite Linie, die Südaustralien mit England verbindet, aber zuerst werden wir uns an die größere halten.«
Die Visitenkarte, die Holmes dem Chef überbringen ließ, versicherte uns dessen sofortiger Aufmerksamkeit, und bald besaß er alle Informationen, die er benötigte. Im Juni ‘95 hatte nur ein Liner den Heimathaften angelaufen. Es war die ›Rock of Gibraltar‹, das größte und beste Schiff. Ein Blick in die Passagierliste erwies, daß Miss Fraser aus Adelaide nebst Zofe auf ihm gefahren waren. Das Schiff befand sich jetzt auf dem Weg nach Australien, südlich des SuezKanals. Die Offiziere waren dieselben wie im Jahr ‘95, von einer Ausnahme abgesehen. Der damalige Erste Offizier, Mr. Jack Croker, war Kapitän geworden und sollte das Kommando über das neueste Schiff der Linie übernehmen, die ›Bass Rock‹, die in zwei Tagen von Southampton auslaufen sollte. Er wohnte in Sydenham, wurde aber an diesem Morgen zwecks Entgegennahme von Instruktionen erwartet. Wenn wir uns gedulden wollten… Nein, Mr. Holmes trug kein Verlangen, ihn kennenzulernen, wäre aber froh, etwas aus seiner Vergangenheit und über seine Persönlichkeit zu erfahren.
Die berufliche Beurteilung war großartig. Kein Offizier der Marine reichte an ihn heran. Was seine Persönlichkeit anging, so hieß es, er sei im Dienst verläßlich, aber ein wilder, verwegener Mann, sobald er das Schiffsdeck hinter sich hatte: hitzköpfig und leicht erregbar, doch auch treu, ehrlich und gutherzig. Das war der Kern der Auskunft, mit der Holmes das Büro der AdelaideSouthampton-Schiffahrtsgesellschaft verließ. Von dort fuhr er nach Scotland Yard, betrat aber das Gebäude nicht, sondern blieb in der Droschke sitzen, mit gerunzelter Stirn, tief in Gedanken verloren. Schließlich ließ er sich um die Ecke zum Telegraphen-Amt von Charing Cross fahren, wo er eine Depesche aufgab. Dann schlugen wir wieder den Weg zur Baker Street ein.
»Nein, Watson, ich konnte es nicht tun«, sagte er, als wir in unserem Zimmer waren. »Wenn der Haftbefehl einmal ausgestellt ist, vermag nichts auf der Welt, ihn zu retten. Ein- oder zweimal in meiner Laufbahn hatte ich das Gefühl, größeren Schaden durch die Entdeckung eines Verbrechers gestiftet zu haben, als ihn dieser selbst angerichtet hatte. Ich habe Vorsicht gelernt, und ich würde eher das englische Gesetz überlisten als mein eigenes Gewissen. Wir wollen ein bißchen mehr wissen, ehe wir handeln.«
Vor Abend erhielten wir den Besuch von Inspektor Stanley Hopkins. Seine Sache stand gar nicht gut.
»Ich glaube, Mr. Holmes, Sie sind ein Hexer. Manchmal denke ich tatsächlich, daß Sie über Kräfte verfügen, die nicht menschlich sind. Wie, um alles in der Welt, konnten Sie wissen, daß das gestohlene Silber auf dem Grund des Teiches lag?«
»Ich wußte es nicht.«
»Aber Sie schrieben mir doch, ich sollte dort suchen.«
»Sie haben es gefunden?«
»Ja, ich habe es gefunden.«
»Es freut mich sehr, daß ich Ihnen helfen konnte.«
»Aber Sie haben mir doch nicht geholfen! Sie haben den Fall viel schwieriger gemacht. Was sollen denn das für Einbrecher sein, die Silberbestecke stehlen
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