Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
niemandem etwas und richtet es so ein, daß er unter einem Vorwand spätabends seinen Klienten besuchen muß; er wartet ab, bis die einzige andere Person im Haus zu Bett gegangen ist, und dann ermordet er den Mann in der Einsamkeit seines Zimmers, verbrennt ihn auf dem Holzstoß und begibt sich in ein Hotel in der Nähe. Die Blutflecken im Zimmer sowie am Stock sind schwach. Es ist möglich, daß er sich einbildete, sein Verbrechen wäre ohne Blutvergießen abgegangen, und daß er hoffte, wenn der Körper vernichtet sei, wären auch alle Spuren verwischt, Spuren, die aus einigen Gründen auf ihn hätten weisen müssen. Ist all das nicht offensichtlich?«
»Ich finde das, mein guter Lestrade, um eine Kleinigkeit zu offensichtlich«, sagte Holmes. »Ihre bedeutenden Qualitäten entbehren der Phantasie; aber wenn Sie sich für einen Augenblick in die Lage des jungen Mannes versetzen wollten – würden Sie ebendie dem Tag der Abfassung des Testaments folgende Nacht wählen, um Ihr Verbrechen auszuführen? Würden Sie es nicht für gefährlich halten, eine so enge Verbindung zwischen den beiden Ereignissen herzustellen? Ferner, würden Sie sich dafür eine Gelegenheit aussuchen, wo man Sie im Hause weiß, da eine Bedienstete Sie eingelassen hat? Und schließlich würden Sie sich die große Mühe machen, den Leichnam beiseite zu schaffen, und dann Ihren Stock dalassen, zum Zeichen, daß Sie der Verbrecher waren? Geben Sie zu, Lestrade, daß all dies sehr unwahrscheinlich ist.«
»Was den Stock betrifft, Mr. Holmes: Sie wis
sen so gut wie ich, daß ein Verbrecher in der Aufregung oft Dinge tut, die ein gefaßter Mann vermeiden würde. Wahrscheinlich hat er sich gefürchtet, in den Raum zurückzukehren. Geben Sie mir eine andere Theorie, die zu den Tatsachen passen könnte.«
»Ich könnte Ihnen sehr leicht ein halbes Dutzend geben«, sagte Holmes. »Hier zum Beispiel ist eine mögliche und auch wahrscheinliche. Machen Sie damit, was Sie wollen. Der ältere Mann zeigt Dokumente, die augenscheinlich etwas wert sind. Ein vorüberkommender Landstreicher beobachtet das durchs Fenster, dessen Jalousie nur halb heruntergelassen ist. Der Advokat geht ab. Auftritt des Landstreichers! Er packt einen Stock, den er da stehen sieht, tötet Oldacre und verschwindet, nachdem er die Leiche verbrannt hat.«
»Warum sollte der Landstreicher die Leiche verbrennen?«
»Was das betrifft: Warum sollte McFarlane es getan haben?«
»Um Beweise zu verbergen.«
»Möglicherweise wollte der Landstreicher ver
bergen, daß überhaupt ein Mord verübt worden ist.«
»Und weshalb hat der Landstreicher nichts mitgenommen?«
»Weil es Papiere waren, die er nicht hätte verwerten können.«
Lestrade schüttelte den Kopf, aber nach seinem Benehmen schien mir, daß er nicht mehr so absolut sicher war.
»Gut, Mr. Sherlock Holmes, suchen Sie nach Ihrem Landstreicher, während wir uns an unseren Mann halten. Die Zukunft wird zeigen, wer recht hat. Bedenken Sie vor allem eines, Mr. Holmes – daß unseres Wissens keines von den Papieren weggenommen wurde und daß der Verhaftete der einzige Mensch auf Erden ist, der keinen Grund hatte, etwas wegzunehmen, da er als gesetzmäßiger Erbe auf jeden Fall der Besitzer sein würde.«
Diese Bemerkung schien meinen Freund getroffen zu haben.
»Ich leugne nicht, daß der Augenschein in verschiedener Hinsicht für Ihre Theorie spricht«, sagte er. »Ich möchte nur darauf hinweisen, daß auch andere Theorien möglich sind. Aber wie Sie sagen: die Zukunft wird entscheiden. Guten Morgen! Ich glaube, ich werde im Laufe des Tages Norwood einen kurzen Besuch abstatten und schauen, wie Sie vorankommen.«
Der Polizeidetektiv ging, und mein Freund erhob sich und traf seine Vorbereitungen für den Tag. Dabei sah er so munter aus wie jemand, dem eine seinen Fähigkeiten würdige Aufgabe bevorsteht.
»Mein erster Schritt, Watson«, sagte er, als er in seinen Gehrock schlüpfte, »muß, wie ich schon sagte, in Richtung Blackheath erfolgen.«
»Und warum nicht nach Norwood?«
»Weil in diesem Falle ein einmaliges Ereignis einem anderen auf den Fersen folgt. Die Polizei macht den Fehler, daß sie ihre Aufmerksamkeit nur auf das zweite richtet, weil es zufällig dasjenige ist, das offensichtlich verbrecherischen Charakter besitzt. Aber für mich liegt auf der Hand, daß der logische Weg, an den Fall heranzukommen, darin besteht, das erste Ereignis zu
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