Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
beeindrucken?«
»Das, mein lieber Watson, ist ein gefährliches Argument. Erinnern Sie sich an diesen schrecklichen Mörder Bert Stevens, der im Jahre ‘87 von uns erwartete, daß wir ihn freipauken? Hat es jemals einen gesitteteren jungen Mann gegeben, nachgerade wie aus der Sonntagsschule?«
»Das stimmt.«
»Wenn es uns nicht gelingt, eine Gegentheorie aufzustellen, ist der Mann verloren. Sie werden in der Anklage, die jetzt gegen ihn vorgebracht werden kann, kaum eine brüchige Stelle finden, und alle Untersuchungen dienen nur dem Zweck, sie zu stärken. Übrigens gibt es da im Zusammenhang mit den Papieren eine seltsame Kleinigkeit, und die kann einen Ausgangspunkt für unsere Nachforschungen abgeben. Beim Durchblättern der Bankauszüge fand ich, daß der niedrige Stand des Guthabens vor allem auf die hohen Schecks zurückzuführen ist, die im letzten Jahr auf einen Mr. Cornelius ausgestellt wurden. Ich bekenne, ich wüßte sehr gern, wer dieser Mr. Cornelius ist, mit dem ein Baumeister, der sich zurückgezogen hat, so große Transaktionen tätigt. Wie, wenn er seine Hand im Spiel hätte? Vielleicht ist Cornelius Börsenmakler; aber wir fanden keine Interimsscheine, die mit den hohen Zahlungen übereinstimmten. Da ein anderer Angriffspunkt fehlt, müssen meine Nachforschungen in die Richtung gehen: Befragung der Bank und Suche nach dem Gentleman, der die Schecks kassiert hat. Aber ich fürchte, mein Junge, unser Fall wird unrühmlich enden, denn Lestrade läßt unseren Klienten hängen und Scotland Yard wird damit triumphieren.«
Ich weiß nicht, ob Sherlock Holmes in jener Nacht überhaupt geschlafen hat; als ich zum Frühstück hinunterkam, fand ich ihn blaß und erschöpft, aber seine klaren Augen wirkten trotz der dunklen Ringe noch klarer als sonst. Der Teppich war rund um seinen Stuhl mit Zigarettenstummeln und den ersten Ausgaben der Morgenzeitungen bedeckt. Ein geöffnetes Telegramm lag auf dem Tisch.
»Was halten Sie davon, Watson?« fragte er und schob es mir zu.
Es war in Norwood aufgegeben und lautete wie folgt:
›Habe wichtigen neuen Beweis. McFarlanes Schuld endgültig festgestellt. Rate Ihnen, den Fall aufzugeben. – Lestrade.‹
»Das klingt ernst«, sagte ich.
»Es ist Lestrades kleines Siegesgekrähe«, antwortete Holmes mit bitterem Lächeln. »Und doch wäre es voreilig, den Fall aufzugeben. Nach allem ist ein wichtiger neuer Beweis ein zweischneidiges Schwert, das möglicherweise in eine ganz andere Richtung als in die von Lestrade vorgestellte schneidet. Frühstücken Sie, Watson, und wir werden gemeinsam hingehen und sehen, was wir tun können. Ich habe so ein Gefühl, als ob ich heute Ihre Gesellschaft und Ihre moralische Unterstützung benötigen werde.«
Mein Freund frühstückte nicht; es war eine seiner Eigenheiten, daß er in Zeiten besonderer Anspannung kein Essen zu sich nahm, und ich habe erlebt, daß er seine eiserne Stärke mißbrauchte, bis er aus purer Entkräftung umfiel.
»Momentan kann ich Energie und Nerven nicht auf Verdauung verschwenden«, pflegte er auf meine ärztlichen Vorhaltungen zu entgegnen. So war ich nicht überrascht, daß er an diesem Morgen, bevor er mit mir nach Norwood aufbrach, sein Essen unberührt ließ.
Eine Menge krankhaft Schaulustiger trieb sich noch immer vor dem Haus ›Deep Dene‹ herum, der Vorortvilla, die genauso aussah, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Hinterm Tor begegnete uns Lestrade, das Gesicht rot vor Siegesfreude und in triumphierender Haltung.
»Nun, Mr. Holmes, können Sie beweisen, daß wir falsch vorgehen? Haben Sie Ihren Landstreicher gefunden?« rief er.
»Ich habe mir überhaupt noch kein Urteil gebildet«, antwortete mein Gefährte.
»Aber wir haben das unsere gestern gebildet, und nun hat es sich als richtig erwiesen; also müssen Sie anerkennen, daß wir Ihnen diesmal ein Stückchen voraus sind, Mr. Holmes.«
»Sie machen entschieden den Eindruck, als hätte sich etwas Ungewöhnliches ereignet«, sagte Holmes.
Lestrade lachte laut.
»Sie geben sich ungern geschlagen, wir auch«, sagte er. »Niemand kann aber erwarten, daß alles immer in seinem Sinn läuft – stimmt’s, Dr. Watson? Folgen Sie mir, wenn es beliebt, Gentlemen, und ich denke, ich kann Sie ein für allemal überzeugen, daß John McFarlane das Verbrechen begangen hat.«
Er führte uns durch den Flur in eine dunkle Halle.
»Hierher mußte der junge
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