Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
zurechtgezimmert hatte, und die anderen umdrängten ihn und hörten ihm zu. Ich ging so nahe heran, wie ich konnte, aber seine Bemerkungen schienen mir ungereimt, und so zog ich mich ziemlich angewidert zurück. Dabei stieß ich gegen einen älteren, mißgestalteten Mann, der hinter mir stand, und dem dabei ein paar Bücher zu Boden fielen, die er unterm Arm getragen hatte. Ich erinnere mich, daß ich einen Titel las, als ich die Bücher aufhob: ›Der Ursprung der Anbetung von Bäumen‹, und mir kam sofort in den Sinn, der Bursche müsse ein bedauernswerter Bibliophile sein, der, entweder von Berufs wegen oder als Steckenpferd, obskure Ausgaben sammelte. Ich wollte mich für den Vorfall entschuldigen, aber es war offensichtlich, daß diese Bücher, die ich unglücklicherweise so schlecht behandelt hatte, in den Augen ihres Besitzers großen Wert besaßen. Mit einem verächtlichen Knurren machte er auf dem Absatz kehrt, und der gekrümmte Rücken und der weiße Backenbart verschwanden in der Menge.
Meine Beobachtung des Hauses Park Lane 427 erbrachte wenig, um das Problem, das mich beschäftigte, klären zu können. Eine niedrige Mauer mit einem eisernen Gitter, das Ganze nicht höher als fünf Fuß, grenzte das Grundstück zur Straße hin ab. So war es für jeden sehr leicht, in den Garten zu gelangen. Aber das Fenster war absolut unerreichbar, selbst für den gewandtesten Mann, denn es gab kein Fallrohr oder etwas Ähnliches, das als Kletterstütze hätte dienen können. Verwirrter als zuvor, lenkte ich meine Schritte wieder nach Kensington. Ich war noch nicht fünf Minuten in meinem Arbeitszimmer, als das Mädchen eintrat und meldete, man wünsche mich zu sprechen. Zu meinem Erstaunen war es niemand anders als der sonderbare alte Büchersammler, dessen scharfes, verwelktes Gesicht von weißem Haar umrahmt war. Unterm Arm hielt er mindestens ein Dutzend seiner wertvollen Bücher.
»Sie sind überrascht, mich zu sehen, Sir«, sagte er mit seltsam krächzender Stimme.
Ich gab zu, überrascht zu sein.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, Sir, und da ich Sie zufällig in dieses Haus gehen sah, als ich hinter Ihnen herhumpelte, dachte ich, geh doch hinein und sag dem freundlichen Herrn, daß du ihn nicht verletzen wolltest, als du so barsch warst, und daß du ihm sehr verbunden bist, weil er deine Bücher aufgehoben hat.«
»Das war doch eine Kleinigkeit, Sie spielen es hoch«, sagte ich. »Aber dürfte ich Sie fragen, woher Sie wissen, wer ich bin?«
»Nun, Sir, wenn es Ihnen nichts ausmacht: Ich bin einer Ihrer Nachbarn. Ich betreibe den kleinen Buchladen Ecke Church Street und würde mich glücklich schätzen, Sie dort begrüßen zu dürfen. Vielleicht sind Sie selber Sammler, Sir. Hier: ›Die Vogelwelt Britanniens‹ und ›Catull‹ und ›Der Heilige Krieg‹ – alles einmalige Gelegenheiten. Mit fünf Büchern könnten Sie die Lücke da in der zweiten Reihe ausfüllen. So etwas sieht unordentlich aus, Sir, oder etwa nicht?«
Ich wandte den Kopf zum Bücherschrank hinter mir. Als ich mich wieder umdrehte, stand Sherlock Holmes da und lächelte mich über den Tisch hinweg an. Ich erhob mich, starrte ihn einige Sekunden lang in völliger Verwirrung an und muß dann wohl, zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben, ohnmächtig geworden sein. Grauer Nebel wirbelte mir vor den Augen, und als er sich verzogen hatte, war mein Kragen geöffnet, und auf meinen Lippen schmeckte ich den prickelnden Nachgeschmack von Kognak. Holmes stand über meinen Sessel gebeugt und hielt seine Taschenflasche in der Hand.
»Mein lieber Watson«, sagte die wohlbekannte Stimme, »ich muß mich tausendmal bei Ihnen entschuldigen. Ich konnte nicht ahnen, daß Sie das so angreifen würde.«
Ich packte ihn am Arm.
»Holmes!« rief ich, »sind Sie es? Ist es möglich, daß Sie leben? Sind Sie tatsächlich aus jenem schrecklichen Abgrund heraufgeklettert?«
»Moment mal!« sagte er. »Sind Sie sicher, daß Sie sich wieder gut genug fühlen, um alles durchzusprechen? Ich habe Ihnen durch meinen unnötig dramatischen Auftritt einen ernstlichen Schock versetzt.«
»Mir geht es gut. Aber wirklich, Holmes, ich wage es nicht, meinen Augen zu trauen. Du lieber Himmel, sich vorzustellen, daß Sie – ausgerechnet Sie – in meinem Arbeitszimmer stehen!« Wieder packte ich ihn am Ärmel und fühlte den dünnen, sehnigen Arm unter dem Stoff.
»Nein, Sie sind kein Gespenst«, sagte ich.
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