Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
ihr Nachthemd angehabt – er seinen Hausmantel über dem Nachtzeug. Im Arbeitszimmer war nichts verändert worden. Soweit sie wußten, hatte es zwischen dem Mann und seiner Frau nie Streit gegeben. Sie hatten sie immer für ein sehr trautes Paar gehalten.
Soweit das Wichtigste von der Aussage der beiden Bediensteten. Auf die Frage von Inspektor Martin versicherten sie, daß jede Tür von innen verriegelt war, so daß niemand aus dem Haus hätte entkommen können. Auf Holmes’ Frage erinnerten sich beide, daß sie den Pulvergeruch schon in dem Moment bemerkt hatten, als sie aus ihren Zimmern auf den oberen Flur hinausgestürzt waren.
»Ich empfehle diese Tatsache Ihrer Aufmerksamkeit«, sagte Holmes zu seinem beamteten Kollegen. »Und nun, denke ich, sind wir in der Lage, eine gründliche Überprüfung des Raums vorzunehmen.«
Das Arbeitszimmer erwies sich als eine kleine, an drei Seiten von Büchern eingefaßte Kammer mit einem Schreibtisch vor einem gewöhnlichen Fenster, das auf den Garten hinausging. Unsere erste Aufmerksamkeit galt dem Leichnam des unglücklichen Squire, dessen riesige Gestalt quer im Zimmer ausgestreckt lag. Seine unordentliche Kleidung zeigte, daß er aus dem Schlaf gerissen worden war. Die Kugel war von vorn auf ihn abgegeben worden und in seinem Körper stecken geblieben. Der Tod war gewiß augenblicklich und ohne Schmerzen eingetreten. Weder auf dem Hausmantel noch an den Händen gab es Pulverspuren. Wie der Landchirurg sagte, hatte die Dame Pulverspuren im Gesicht, aber keine an der Hand.
»Daß an der Hand keine sind, bedeutet nichts, obwohl es alles bedeuten würde, wenn sich dort welche gefunden hätten«, sagte Holmes. »Wenn das Pulver aus einer schlecht eingepaßten Patrone nicht nach hinten wegspritzt, kann einer viele Schüsse abgeben, ohne daß es eine Spur hinterläßt. Ich würde vorschlagen, Mr. Cubitt jetzt wegzubringen. Ich nehme an, Doktor, Sie haben die Kugel, von der die Dame getroffen wurde, nicht herausgeholt?«
»Dazu müßte man eine schwere Operation durchführen. Aber in dem Revolver sind noch vier Patronen. Zwei wurden abgefeuert und zwei Wunden verursacht, so daß beide Kugeln nachgewiesen werden können.«
»So scheint es«, sagte Holmes. »Vielleicht können Sie auch einen Nachweis für die Kugel erbringen, die so offensichtlich in den Fensterrahmen eingeschlagen ist.«
Er drehte sich plötzlich um, und sein langer dünner Finger zeigte auf ein Loch, das sich im unteren Teil des Rahmens ungefähr ein Inch über der Fensterbank befand.
»Um Himmels willen!« rief der Inspektor, »wie konnten Sie das nur sehen?«
»Weil ich danach gesucht habe.«
»Wunderbar!« sagte der Landarzt. »Sie haben sicherlich recht, mein Herr. Dann ist ein dritter Schuß abgefeuert worden, und deshalb muß eine dritte Person zugegen gewesen sein. Aber wer kann das sein, und wie hat diese Person entkommen können?«
»Das ist das Problem, das wir im Moment zu lösen suchen«, sagte Sherlock Holmes. »Sie erinnern sich, Inspektor Martin, die beiden Frauen sagten, daß sie beim Verlassen ihrer Zimmer sofort Pulvergeruch wahrgenommen hätten, und ich bemerkte dazu, das sei ein außerordentlich wichtiger Punkt?«
»Ja, Sir, aber ich gestehe, ich habe Ihnen nicht ganz folgen können.«
»Ich sagte mir, daß zu dem Zeitpunkt, als die Schüsse fielen, das Fenster ebenso wie die Tür offen gewesen sein mußten. Andernfalls hätte sich der Pulvergeruch nicht so schnell im Haus verbreitet. Dazu war ein Durchzug im Zimmer notwendig. Tür und Fenster waren jedoch nur für kurze Zeit gleichzeitig geöffnet.«
»Wie können Sie das beweisen?«
»Weil die Kerze nicht ausging.«
»Hervorragend!« rief der Inspektor. »Hervorragend!«
»Da ich mir sicher war, daß das Fenster zur Zeit der Tragödie offenstand, schloß ich, es könnte eine dritte Person in die Affäre verwickelt gewesen sein, die sich draußen vor dem Fenster aufhielt und von dort schoß. Jeder auf diese Person gezielte Schuß hätte in den Fensterrahmen treffen kön nen. Ich sah nach, und natürlich war da ein Einschuß.«
»Aber wie wurde das Fenster geschlossen und gesichert?«
»Der erste Impuls einer Frau würde sein, das Fenster zuzuschlagen und zu verriegeln. Aber, holla, was ist denn das?«
Es war die Handtasche der Dame, sie stand auf dem Schreibtisch – eine niedliche kleine Handtasche aus Krokodilleder, mit einem Silberbügel.
Weitere Kostenlose Bücher