Die Wiederkehr
nicht aussprechen. Er sprach nicht weiter, aber er
wartete auch vergebens auf eine Antwort.
Abu Dun starrte ihn an. Er sagte nichts. Nach einer Weile griff er
nach seinem Becher, füllte ihn erneut und nahm einen kräftigen
Schluck. Ein einzelner Tropfen Wein blieb auf seinen Lippen zurück,
dunkelrot und schimmernd wie frisches Blut. Abu Dun leckte ihn
weg. »Worauf willst du hinaus?«, fragte er schließlich.
»Von Salms Worte haben mich… erschreckt. Vielleicht messe ich
ihnen einfach zu viel Gewicht bei.« Wieso hatte er nicht die Kraft,
Abu Dun bei diesen Worten in die Augen zu sehen?
»So ist das also.« Abu Duns Gesicht war plötzlich so ausdruckslos
wie eine aus Stein gehauene Maske. Nur an seiner Schläfe pulsierte
eine Ader und verriet, wie angespannt er wirklich war. »Ich dachte,
du würdest mich besser kennen. Aber vielleicht habe ich mich ja
auch getäuscht.« Er leerte seinen Weinbecher in einem einzigen Zug
und stand dann mit einem Ruck auf.
»Warte!«, sagte Andrej hastig. »Wohin willst du?«
»Raus«, grollte Abu Dun. »Ich brauche dringend frische Luft.« Er
beugte sich vor und fügte so leise, dass nur Andrej es hören konnte,
hinzu: »Und vielleicht ja auch frisches Blut - das ist es doch, was du
denkst.«
»Abu Dun…«
Andrej kam nicht dazu weiterzusprechen, denn der Nubier fuhr wütend herum und stapfte zum Ausgang, wobei er jeden, der ihm nicht
schnell genug aus dem Weg gehen konnte, einfach zur Seite stieß.
Andrej überlegte, ob er ihm nachlaufen sollte, ließ sich dann aber
seufzend wieder auf seinen Stuhl zurücksinken. Er wusste, dass er
dadurch alles nur noch schlimmer machen würde. Der Nubier würde
schon wieder zur Vernunft kommen.
Während er Malik winkte, ihm einen zweiten Krug Wein zu bringen - er brauchte jetzt einen Schluck -, rief Andrej sich noch einmal
das Gespräch mit dem greisen Verteidiger der Stadt (auch wenn dieser Greis ein gutes Stück jünger sein musste als er selbst) in Erinnerung.
Von Salm hatte den Samen des Zweifels in ihm gesät, und dieser
Samen war auf fruchtbaren Boden gefallen. Andrej war nicht mehr
sicher, ob Abu Dun tatsächlich noch der Mann war, den er gekannt
hatte. Es war jetzt einige Jahrzehnte her, dass auch der Nubier zu
einem Wesen wie er geworden war, wenn auch auf eine Art und
Weise, die Andrej bis jetzt nicht verstanden hatte. Er hatte eigenhändig dafür gesorgt, dass jene, die Abu Dun dieses Schreckliche angetan hatten, die Grenzen ihrer vermeintlichen Unsterblichkeit kennen
gelernt hatten - und seither war Abu Dun wie er: Ein Mensch, der
nicht alterte, der so gut wie unverwundbar und - nahezu - unsterblich
war.
Und der Leben trinken konnte.
So, wie auch er.
Der bloße Gedanke ließ Andrej schaudern, denn er kannte die
furchtbare Verlockung, die darin lag. Von allem war dies vielleicht
das größte und finsterste Geheimnis, das ihre Art umgab - die Macht,
das Leben anderer zu nehmen und seine Kraft der eigenen hinzuzufügen. Andrej selbst hatte es noch nicht oft getan und niemals bei
einem unschuldigen Menschen, aber er kannte das Gefühl berauschender Kraft und unüberwindlicher Stärke, das dem Moment folgte, in dem er die Seele eines anderen verzehrte, und die Gefahr, die
mit diesem Gefühl einherging. Natürlich hatte er Abu Dun von dieser
Gefahr erzählt. Und noch vor einiger Zeit war er sicher gewesen,
dass der Nubier ihrem Reiz nicht erliegen würde.
Jetzt konnte er nicht mehr sicher sein. Nicht, nachdem er gesehen
hatte, wie Abu Dun unter den Türken gewütet hatte. Immer wieder
sah er den hünenhaften Nubier vor sich, der wie ein Derwisch auf der
Stadtmauer stand und mit seinem Schwert Tod und Verderben unter
die Reihen der Angreifer brachte. Ein tobender Dämon, der keine
Furcht kannte, keinen Schmerz, keine Müdigkeit und kein Erbarmen.
Dem keine noch so schwere Verletzung auch nur das Mindeste anhaben konnte.
Andrej trank einen weiteren Schluck Wein und versuchte, den
Zweifeln mit Logik beizukommen. Sicher, Abu Dun war körperlich
stärker als er, und es konnte möglich sein, dass er deshalb auch in der
Lage war, Verletzungen viel schneller als er selbst zu heilen. Andrej
hatte ebenfalls lange Zeit gebraucht, um dahin zu kommen, wo er
heute war. Er erinnerte sich noch gut daran, wie oft er schwer verwundet mit dem Tod gerungen hatte und nur ganz langsam die neuen
Möglichkeiten seines Körpers erforscht hatte, Verletzungen zu heilen, zerrissenes Fleisch zusammenzufügen und gebrochene
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