Die Wiederkehrer
gestern Abend zwar vorstellen können, es einmal zu versuchen, da hatte er aber auch schon ein paar Bier intus und einen echt turbulenten Tag hinter sich. Er war in einem Ausnahmezustand gewesen. Himmel, man hätte es mit Bartstoppeln zu tun, einem rauen Kinn. Wollte er tatsächlich den Atem eines Mannes spüren? Ihm nah genug kommen, um ihn zu riechen und von dessen harten Körper berührt zu werden? Kräftige Hände, die ihn anpackten? Himmel, Niko käme sich total
unmännlich
vor, wenn
er
in starken Armen gehalten werden würde!
Er
war es doch, der halten musste, schützen, stützen, sich darum kümmern, dass sie Spaß hatte. Wäre es nicht total verstörend, wenn es auf einmal umgekehrt wäre? Wenn jemandem an seinem Orgasmus läge, wild darauf wäre, wie er dabei aussah und klang? Frauen hatten ihm stets das Gefühl vermittelt, es wäre eine peinliche Nebenerscheinung, dass er einen Orgasmus hatte, und
wie
er ihn hatte. Alles störte daran. Angefangen beim
ekligen
Sperma, über sein Schwitzen bis hin zu seinen Geräuschen. Niko dagegen fand kaum etwas erregender, als zuzusehen, wie jemand die Kontrolle verlor – vor allem, wenn
er
es war, der das auslöste. Was, wenn Sex nicht mehr ein Akt zwischen Lust und der Angst wäre, schon wieder etwas falsch zu machen? Wäre das nicht … total geil? Verwirrende Gedanken. Äußerst verwirrende Gedanken. Niko konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, dass er es auf gar keinen Fall genießen könnte, ob es ihm aber gefallen würde, da war er sich auch nicht sicher.
T-Shirts, Socken, Slips, Handtücher, Laken. Nach und nach raffte Niko Bernds Sachen aus der Waschtrommel und legte sie in den Wäschekorb. Gelegentlich sah er sich den Aufdruck eines Shirts genauer an und gab sich der Fleißaufgabe hin, die Socken paarweise zusammenzusuchen. Plötzlich ertappte sich Niko dabei, interessiert an einem von Bernds Slips zu schnuppern. Erschrocken schleuderte er das Wäschestück in den Korb und prallte zurück. Was machte er denn da? Er schnüffelte an fremden Unterhosen wie ein japanischer Geschäftsmann! Wie peinlich!
Um Bernds Sachen zu trocknen, hängte Niko sie sorgfältig auf den Wäscheständer auf dem Balkon. Dabei konnte er einen malerischen Sonnenuntergang bestaunen. Leuchtendes Gold schmolz auf einem tiefblauen Himmel zu einem flammenden Orange. Aus einem der vielen Fenster des Wohnblocks drang die Musik eines Radios. Niko erkannte den Song. Es war
'I will survive'
von … keine Ahnung wem, aber das Lied war ein Ohrwurm. Während Niko ein feuchtes Kleidungsstück nach dem anderen auf dem Wäscheständer drapierte, summte er die Melodie mit. Plötzlich wurde ihm so richtig bewusst, dass er wieder ein Leben hatte, Chancen, tausende Sonnenuntergänge erleben würde, dieses Lied und viele andere noch hunderte Male hören könnte. Niko summte lauter, wiegte sich im Takt, ließ sich von der Melodie ergreifen und mittragen. Die Euphorie, am Leben zu sein, packte ihn mit voller Wucht.
„I will survive!“, schmetterte er nun laut mit, legte sich eine von Bernds feuchten, duftenden Unterhosen auf die Stirn – was sich angenehm kühl anfühlte – drehte sich im Kreis, breitete die Arme aus und grölte den Refrain immer lauter heraus. Der Himmel brannte, ein paar aufgeregte Vogel zwitscherten und ein Stockwerk weiter unten kicherte jemand.
Niko hielt abrupt inne und riss sich den Slip vom Kopf. Jemand hatte ihm zugehört. Wie peinlich!
„Sing weiter“, forderte eine männliche Stimme amüsiert.
„Bernd?“, fragte Niko, wankte und hielt sich am Geländer fest. Er hatte schlagartig weiche Knie.
„Jap. Lass dich von mir nicht stören. Ich sitze zum Schreiben gerne hier draußen, dann kann ich gleichzeitig rauchen. Hört sich nach einem gelungenen Tag an, bei dir.“
„Das ist eine sagenhafte Untertreibung“, erklärte Niko aufgeregt, „Ich hänge gerade deine Wäsche auf!“ Niko schlug sich mit der Hand gegen den Kopf. Was plapperte er denn da! Belustigtes Glucksen von unten.
„Das Glück ist ein Wunderding“, summte Bernd.
„Oder umgekehrt“, rutschte es aus Niko heraus. Argh! Niko zerrte an seiner Gesichtshaut, als wollte er sie abschälen. Bernd lachte.
„Nimm dein Glück in die Hand“, ulkte er.
„Für dich beginnt also jetzt die Nachtschicht?“, fragte Niko. Mist! Er verdrehte über sich selbst die Augen.
„Was?“, kicherte Bernd irritiert.
„Oh … ich … meinte das nicht …
so
…“, brabbelte Niko. „Ich dachte … ich meine … du
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