Die Wiege des Windes
lieber Herr Liebler verkehrt nur exklusiv. Für einen Beamten in der Besoldungsgruppe A 12 eine Meisterleistung, was Haushaltsführung angeht, finden Sie nicht auch?«
Johannes Hagemann schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er im Lotto gewonnen oder geerbt.«
»Nein.« Kirner erhob sich und lief im Zimmer hin und her. Er genoss ihre Neugierde. »Sein ungeahnter Reichtum kam vor zwei Jahren. Liebler flog im Oktober 1995 nach Sankt Petersburg. Er hielt einen Vortrag über Schutzgebiete und die Besonderheiten des friesischen Wattenmeeres. Ökologische und Ökonomische Nutzung im Einklang, hieß das Thema. Und nun ratet mal, wer ihn eingeladen hatte?«
»Die ITATAKA«, murmelte Trevisan.
»Gut kombiniert, Herr Kollege«, antwortete Kirner. »Übrigens hat er zwischenzeitig drei Reisen in den Osten unternommen. Das letzte Mal, vor einem halben Jahr, flog er mit einem Privatjet der ENCON-NETWORK aus Bremen. Das ist eine Firma, die sich auf die Errichtung von Off-Shore-Windkraftanlagen spezialisiert hat. Er wurde von dem Geschäftsführer Gunnar Lührs und von Herrn Ministerialdirigent Winterberg begleitet. Ein paar Monate später hat sich Herr Winterberg das Leben genommen. In Winterbergs Zuständigkeitsbereich fallen übrigens das Bundesemissionsschutzgesetz und die dazugehörige Durchführungsverordnung. Na, klingelt’s?«
»Die Wiege des Windes«, antwortete Trevisan.
»Was?«
»Oh, das ist eine Zeile aus einem Gedicht über die Nordsee, ich weiß nur gerade nicht, von wem es ist«, erläuterte Trevisan.
»Ich habe natürlich weiter recherchiert«, fuhr Kirner fort. »Wusstet ihr eigentlich, dass im Jahr 1995 ein Raumordnungsverfahren draußen im Roten Sand durchgeführt wurde? Knapp acht Meilen vor der Küste im Westen, unweit der Nordergründe? Es gab einen Antrag auf Errichtung eines Off-Shore-Windparks im Roten Sand. Der Antrag wurde von der ENCON-NETWORK gestellt. Das Projekt durchlief alle Genehmigungsverfahren. Das Windland Roter Sand oder auch WiLaRoSa genannt, ist seit einem Jahr in aller Stille genehmigt.«
»WiLaRoSa?«, wiederholte Trevisan. »Das ist der Name einer Datei auf der CD, die Larsen von der Sigtuna stahl. Das also hat ihn das Leben … Moment, der Windpark ist genehmigt?«
»Seit über einem Jahr«, antwortete Kirner. »Und es ist nicht der einzige Antrag, der vorliegt. Offenbar plant die Bundesregierung die Förderung solcher Anlagen und die Verpflichtung der Stromkonzerne zur Einspeisung des Stroms. Ein garantierter Abnahmepreis für die Kilowattstunde soll den Bau solcher Anlagen fördern.«
»Lohnt das denn?«, meldete sich Alex zu Wort.
»Da sind 600-Kilowatt-Türme geplant, das sind Giganten. Die liefern eine Menge Strom.« Kirner hatte sich wie ein Lehrer vor einer Schulklasse an der Stirnseite des Tisches aufgebaut. »Wenn die Garantiesumme bei sechsundzwanzig Pfennig pro Kilowattstunde tatsächlich beschlossen wird, dann hat sich die Anlage in acht Jahren bezahlt gemacht. Falls keine größeren Reparaturen anliegen, nehmen sie nach der Amortisierungsphase jedes Jahr knapp sechs Millionen Mark ein. Wenn das keine Spitzenrendite bei einem mittelfristigen Anlageprojekt ist! Fast zehn Prozent in jedem Jahr! Natürlich kommen noch laufende Kosten dazu. Dennoch bleiben ein paar Millionen Reinverdienst übrig.«
»Aber wenn es genehmigt ist, warum sollte es dann Probleme geben?«, fragte Johannes Hagemann. »Allein für das Klauen einer Diskette von einem Schiff veranstaltet doch niemand so ein Feuerwerk.«
»Tja, das weiß ich selbst«, entgegnete Kirner. »Ich habe herausgefunden, dass hinter dem Projekt ausschließlich ausländische Investoren stehen. Maßgeblich beteiligt ist die PEKO Consult aus Sankt Petersburg.«
»Romanow!«, sagte Trevisan.
»Ja, Romanow«, bestätigte Kirner. »Gut für jedes faule und zwielichtige Geschäft. Ich möchte gar nicht wissen, woher das Geld stammt. Insgesamt soll das Investitionsvolumen bei vierzig Millionen Dollar liegen.«
»Consult, wenn ich das schon höre«, mäkelte Johannes. »Gauner, die einen zulabern, einem das Geld aus der Tasche ziehen und einen am Ende ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Vielleicht steckt da ein groß angelegter Betrug dahinter und die Daten auf der Diskette könnten das auffliegen lassen.«
Trevisan runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Na ja, vielleicht wurden Daten manipuliert. Bevor die ein Windrad platzieren, wird dort gemessen, ob es an der Stelle auch wirklich genug Wind abbekommt, um
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