Die Wiege des Windes
Ruderhaus des Schiffes besichtigte, fiel ihm die ganze Elektronik an Bord auf. In der ersten Kabine rechts des Niederganges war ein Raum mit einer aufwändigen Computeranlage ausgestattet. Welchen Sinn die Geräte hatten, wusste er lediglich von der Beschreibung der Kollegen aus Schweden.
Er ging den Gang entlang und öffnete ein Schott, das zu einer kleinen Kammer führte. Darin waren zwei rote Plastikkisten gestapelt. Er schaltete das Licht ein und warf einen Blick auf die sonderbare Fracht. Unzählige lange Stangen mit einer Art Konus am Ende lagen in den Boxen. Sie erweckten den Eindruck kleiner Sirenen. Ein langes Kabel war um die Stangen gewickelt. Alex Uhlenbruch stand hinter Trevisans Rücken und streckte sich, um selbst einen Blick erhaschen zu können.
»Weißt du, was das sein könnte?«, fragte Trevisan.
Alex schob sich an ihm vorbei und nahm eine der Stangen heraus. »Sieht aus wie eine Art Antenne.«
Trevisan nickte. »Soll sich Kleinschmidt darum kümmern, wir versiegeln das Schiff erst mal. Ich rede mit Friederike van Deeren und du kümmerst dich bitte darum, dass die Festgenommenen rüber aufs Festland gebracht werden.
Ach ja, und gib Johannes Bescheid, vielleicht weiß er, wo Kirner steckt.«
*
Trevisan bat die Kollegen der Polizeistation Norderney, sich mit Friederike van Deeren allein unterhalten zu dürfen.
Sie saß zusammengesunken auf einem gepolsterten Stuhl in einer Ecke und rauchte. »Nach Jahren der Abstinenz«, sagte sie. »Plötzlich hatte ich das Gefühl, ohne Zigarette werd ich verrückt.« Sie drückte mit zittrigen Händen den Stummel in den Aschenbecher. »Kann ich noch eine kriegen?« Ihre Stimme vibrierte.
Trevisan hob entschuldigend die Hände. »Nichtraucher. Seit einem halben Jahr schon.« Er musterte die junge Frau. Ihre kurzen, dunklen Haare hingen wirr ins Gesicht. Die Augen waren angeschwollen und die Tränen hatten Spuren auf ihren Wangen hinterlassen. Sie trug Blue Jeans und ein weißes Sweatshirt mit roten Flecken am Ärmel. Alles in allem machte sie einen müden und erbärmlichen Eindruck. Sie war Ende zwanzig, doch so wie sie jetzt auf dem Stuhl saß, sah sie aus wie eine alte Frau.
»Ich kann mir vorstellen, was Sie durchgemacht haben«, sagte Trevisan. »Erst Larsen, dann Töngen, Corde und jetzt auch noch Ihr Freund von der Insel. Können Sie mir das erklären?«
»Töngen? Ist er tot?« Das Zittern in ihrer Stimme verriet, dass sie keine Ahnung hatte, was mit ihm passiert war.
»Er liegt im Krankenhaus. Wir wären beinahe zu spät gekommen. Und alles nur, weil Larsen etwas in seinen Besitz brachte, das für die Kerle Menschenleben wert ist. Können Sie mir verraten, was es ist?«
Larsens Freundin strich sich die Haare aus dem Gesicht. Erst jetzt konnte Trevisan die hohen Wangenknochen und ihre Augen richtig sehen. Diese Frau war von einer ganz aparten Schönheit.
»Es ist eine CD«, antwortete sie. »Larsen hat sie von einem Schiff gestohlen, das ihm draußen im Roten Sand aufgefallen war. Er hat sie auf der Molly versteckt und mir einen Brief zukommen lassen. Ich habe Björn Ende Oktober zum letzten Mal gesehen. Wir hatten Streit. Ich bin anschließend nach Australien geflogen. Ich habe mit dem Anschlag auf diesen Politiker nichts zu tun. Ich war über tausend Kilometer entfernt.«
»Sie wissen, dass nach Ihnen deswegen gefahndet wird?«
»Was glauben Sie, weswegen ich mich auf dieser Insel versteckt habe?«, erwiderte sie trotzig. »Und jetzt habe ich auch noch Onno beinahe umgebracht. Kann ich zu ihm?«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Sie sind die einzige Zeugin, die ein wenig Licht in dieses Drama bringen kann. Das mit dem Haftbefehl gegen Sie müssen wir noch mit den zuständigen Behörden abklären. So lange bleiben Sie hier.«
»Dann sind sie nicht vom Landeskriminalamt?«
Trevisan schüttelte den Kopf.
»Ich sage Ihnen alles, was ich weiß«, antwortete sie. »Ich glaube nur, dass es nicht besonders viel ist.«
Sie erzählte Trevisan von ihrer Ankunft in Frankfurt auf dem Flughafen bis zu dem Drama der heutigen Nacht. Auch, dass jemand in ihrer Wohnung gewesen sein musste, als sie in Australien gewesen war. Vor Trevisans innerem Auge tauchte Larsens Wohnungstür auf. Es wäre ein Leichtes gewesen, das altersschwache Schloss mit einem Dietrich zu öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen. Waren die Täter auf diese Weise an das Kuvert für die Briefbombe gekommen? Damit wären auch die Fingerprints und die DNA-Spur erklärbar.
Rike
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