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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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Esser.
    »Eine Mitarbeiterin Ihrer Poststelle hat in der Tagespost ein Kuvert entdeckt, aus dem ein helles, kristallines Pulver gerieselt ist«, erklärte Kirner, nachdem beide Platz genommen hatten. »Ihr kam das verdächtig vor, deshalb hat sie die Polizei verständigt. Tatsächlich handelt es sich bei dem Pulver um Kaliumchlorat, einen leicht entzündlichen Stoff, der schon bei geringsten Verunreinigungen oder Berührungen reagieren kann. Da es sich hier um eine staatliche Organisation handelt, wurden wir hinzugezogen. Unsere Spezialisten haben bestätigt, dass es sich um eine Briefbombe handelt. In einem innen liegenden zweiten Kuvert befindet sich offenbar eine weitere Substanz. Über eine kleine Knopfzelle, ein Blitzlicht ohne Abdeckung und eine elektrische Schaltung sollte das Päckchen gezündet werden. Ich hoffe, dass wir das Paket entschärfen können und nicht sprengen müssen. Dann gibt es vielleicht einige Spuren, die uns weiterhelfen.«
    Esser sank sichtlich erschüttert in seinem Stuhl zurück. »Wer sollte die Bombe öffnen?«
    »Der Brief war ausdrücklich an Sie persönlich adressiert.«
    Aus Essers Gesicht wich allmählich die Farbe und machte einem Grauton Platz. »Ich … wieso ich …?«
    »Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen?«
    Esser schüttelte den Kopf. »Was wäre passiert, wenn …«
    »… wenn Sie den Umschlag geöffnet hätten?«, fiel ihm Kirner ins Wort. »Ersten Schätzungen nach dürften sich etwa fünfzig Gramm Sprengstoff im Inneren des zweiten Kuverts befunden haben. Das hätte eine ordentliche Explosion gegeben.«
    Esser schluckte. »Ich glaube, mir wird schlecht.« Er erhob sich und ging an einen Aktenschrank, öffnete die untere Schranktür und holte eine Flasche Cognac hervor. Er schenkte ein Glas voll und leerte es in einem Zug.
    »Haben Sie Feinde?«
    »Natürlich macht man sich Feinde, wenn man einen solchen Posten ausfüllt«, erklärte Esser. »Fischer, die gerne in manchen Schutzzonen fischen würden, Umweltfanatiker, denen unsere Verordnungen nicht weit genug gehen. Es gibt da eine große Zahl von Leuten, denen man hier und da auf die Füße treten muss. Aber deswegen eine Briefbombe?«
    »Gab es in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches, wurden Sie bedroht?«
    Esser öffnete eine Schreibtischschublade, nahm ein Bündel Briefe heraus und warf sie auf den Tisch. »Wer etwas tut, schafft sich automatisch Gegner. Nur wenn Sie still sind und sich aus allem heraushalten, dann passiert so was nicht.«
    Kirner starrte wie gebannt auf ein großes, graues Kuvert mit drei kleinen, blauen Delfinen in der linken oberen Ecke. »Woher haben Sie das?«
    »Der kam vor drei Wochen mit der Post.« Esser wollte nach dem Umschlag greifen, doch Kirner sprang auf und packte ihn an der Hand.
    »Von wem?«
    »So eine Umweltschützerin. Darin befand sich eine lange Studie, über die negativen Auswirkungen des zunehmenden Tourismus auf die Flora und Fauna des Wattenmeers. Wieso ist das so wichtig?«
    Kirner griff in seine Jackentasche und holte ein Polaroidfoto heraus, das die Briefbombe mit den gleichen kleinen Delfinen auf dem Kuvert zeigte. Kommentarlos reichte er es Esser.

4
    Das Haus schwieg. Im Flur, im Wohnzimmer, in den Zimmern im Obergeschoss und vor allem im Kinderzimmer, überall nur lastende Stille. Trevisan saß in seinem Ohrensessel und hielt die Augen geschlossen. Sie waren feucht. Alles um ihn herum erschien sinnlos, dem Tod näher als dem Leben. Grit hatte sich von ihm getrennt. Sie hatte Paula mitgenommen. Paula, die ihm alles bedeutete. Vor einem Monat war sie elf Jahre alt geworden. Er hatte sie angerufen und danach hatte er sich sinnlos betrunken. Sie fehlte ihm. Er fühlte sich einsam und verlassen.
    Der Heilige Abend war angebrochen, doch in diesem Jahr zog kein Bratenduft durch den Flur, kein Weihnachtsbaum schmückte das Wohnzimmer, kein Kinderlachen erfüllte die Stille. Niemand fragte ungeduldig, wann es denn endlich die Geschenke gäbe.
    Trevisan öffnete die Augen und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach acht. Draußen fielen dicke, weiße Flocken und bedeckten die noch unvollendete Terrasse. Er griff zu seinem Weinglas und leerte es in einem Zug. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit und wollten sie festhalten, das Lächeln seiner Tochter, die liebevollen Umarmungen, doch nur die Kälte eines leeren Hauses blieb. Grit hatte die Koffer gepackt und war einfach weggefahren. Weg aus Sande, zurück nach Kiel. Sie hatte sich bei einer Freundin

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