Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner

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Holzbank. Einen Augenblick später erschien der Bärtige und ging wortlos an dem Mann mit der Brille vorbei, um sich am anderen Ende auf eine Bank zu setzen. Rike atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, die beiden Männer gehörten zusammen.
    *
    Martin Trevisan stand unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Der auf- und abschwellende Ton wollte kein Ende nehmen. Anscheinend war der Anruf dringend. Also drehte er den Wasserhahn zu, trocknete sich notdürftig mit einem Handtuch ab, griff zum Bademantel und spurtete in den Flur. »Trevisan«, krächzte er in den Hörer.
    »Hier auch«, vernahm er Grits Stimme. »Du kommst heute wohl gar nicht aus den Federn. Na ja, jetzt bist du zumindest wach.«
    »Ich stand unter der Dusche«, antwortete Trevisan entschuldigend, »ich muss noch ins Büro.«
    »Das ist typisch. Du und dein Büro. Heute ist Weihnachten.«
    Trevisan zerbiss einen Fluch. »Was willst du?«, fragte er verschnupft.
    »Paula kommt am Sonntag zu dir«, entgegnete Grit. »Dörte wird sie bringen. Ich muss nach Stockholm und komme erst am 2. Januar zurück. Hol sie um 16.03 Uhr am Bahnhof ab. Sei pünktlich! Dörte muss den Anschlusszug nach Hannover kriegen.«
    Trevisan war perplex. »Was ist?!«
    »Ich habe einen Job bei der Scan-Line in Aussicht und muss mich dort vorstellen«, antwortete Grit. »Sei froh, dass ich arbeiten gehe. Sonst hättest du noch weniger im Geldbeutel.«
    Trevisan trat ans Fenster. Sonnenstrahlen fingen sich im matten Lack des altersschwachen Opel Corsa. Den BMW hatte Grit mitgenommen. Als Ausgleichszahlung und dafür, dass er das Haus behalten konnte, hatte sie gesagt.
    »Wie stellst du dir das vor?«, erwiderte Trevisan. »Ich habe einen Job und wir sind mitten in einem Mordfall.«
    »Ihr seid immer mitten in irgendwas. Tante Klara ist doch auch noch da. Du bist schließlich Paulas Vater.«
    »Aber ich …«
    »Immer dieses Hin und Her mit dir«, schnauzte Grit. »Ich bin es leid. Es ist so, wie es ist. Kümmere dich um sie. Ich muss dringend weg.«
    Trevisan überlegte. Mit Tante Klaras Hilfe, die ein Haus weiter wohnte, könnte es klappen. Paula war schon früher oft bei ihr und Onkel Hans zu Gast gewesen. »Gut, wann soll ich sie abholen?«
    »Schreib es dir auf, sonst vergisst du es wieder, so wie du oft die Sachen vergisst, wenn es um die Familie geht.«
    Trevisan riss sich zusammen und unterdrückte seine Wut. »Wie geht es euch?«, fragte er, um die Spannung aus dem Gespräch zu nehmen. Ein Fehler – Grit durchschaute sein Ablenkungsmanöver.
    »Wie es uns geht?«, antwortete sie schnippisch. »Das hat dich doch noch nie interessiert. Aber ich kann dich beruhigen, deiner Tochter geht es gut. Und noch etwas: In den nächsten Tagen erhältst du Post von meinem Anwalt. Ich rate dir, ebenfalls schnell einen zu suchen. Ich will es endlich hinter mir haben, verstehst du?«
    »Kann ich mit Paula reden?«, fragte Trevisan.
    »Du hast bald genug Gelegenheit, mit ihr zu sprechen«, erhielt er zur Antwort. Dann beendete Grit das Gespräch.
    Trevisan stand noch einen Augenblick mit dem Telefonhörer am Ohr tropfend und frierend im Flur. Dann legte er den Apparat auf den kleinen Tisch. Ein Kapitel seines Lebens neigte sich dem Ende zu. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

10
    Alexander Romanow lief in dem kleinen Kellerraum wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Überall summten Geräte, die Klimaanlage, die Kühler der Computer und die Ventilatoren für die Frischluftzufuhr. Dieser Raum würde ihn krank machen. Kaum größer als drei mal drei Meter, kein Blick nach draußen, nur kahle Wände aus Stahlbeton. Sogar der graue Linoleumboden wirkte deprimierend und beengend. Die Stahltür war dem Farbton der Wände angepasst. Kabelstränge, mit grauem Tape auf dem Boden befestigt, verliefen in chaotischen Strömen von den Wänden zu dem breiten Tisch in der Mitte. Wie Gestrüpp überwucherten sie von allen Seiten das triste Grau.
    Es gab nur einen Menschen, der sich in dieser Umgebung wohl fühlte. Der junge Mann war blond, klein und schmächtig, wirkte fast noch wie ein Kind, und wahrscheinlich war er auch nie wirklich diesem Stadium entwachsen. Die Assel, die in Wirklichkeit Rainer Mohn hieß und aus München stammte, war in dieser Phase Romanows wichtigster Mann. Der Computerexperte hatte die namhafteste Schule für Informatik hinter sich, und wäre er nicht mehrfach als Hacker aufgefallen, vorbestraft und ohne Abschluss von der Schule geflogen, dann würde er heute mit einem