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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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zur Tür. Die kleine Lok entwickelte sehr schnell eine erstaunliche Geschwindigkeit. Als Rike die Tür aufschieben wollte, klemmte der Riegel. Bestimmt war die Tür während der Fahrt gesichert. Doch irgendwo musste es einen Schalter zur Deaktivierung des Schutzmechanismus geben. Sie entdeckte einen roten Knopf über der Tür und drückte mit der Faust dagegen. Ein leises Zischen, und der Riegel ließ sich bewegen. Rike presste die Schulter gegen die Tür und schob sie auf. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie vom Trittbrett und landete im feuchten Gras der Böschung. Die Waggons huschten an ihr vorbei und beinahe wäre sie die Böschung wieder hinabgestürzt, doch mit aller Kraft krallte sie sich in das verdorrte Gras.
    Als sie sich aufrichtete, verschwand der kleine Zug hinter der Kurve. Sie kroch den Abhang hinauf und verharrte. Ein Spaziergänger kam den Feldweg entlanggelaufen. Der Mann trug einen dunklen Mantel und hatte die Hände in den Taschen vergraben. Sie duckte sich. Es war besser, wenn niemand sie sah. Wem konnte sie noch trauen? Erst als der Spaziergänger hinter der nächsten Biegung verschwunden war, richtete sie sich auf und rannte den Weg entlang, der zu Töngens Anwesen führte.

11
    Rike sah Töngen schon von weitem neben der maroden Scheune stehen. Offenbar reparierte er endlich das Gatter. Schon im Sommer hatte sie ihm gesagt, dass ihm bald seine Schafe weglaufen würden, wenn er sich nicht um den Zaun kümmerte. Töngen schlug einen Pfahl in die Erde. Er war in seine Arbeit vertieft und fuhr zusammen, als Rike ihn rief. »Rike! Verdammt, was machst du hier! Komm …« Er schob sie in die Scheune und spähte misstrauisch in die Umgebung.
    »Ist jemand hier?«, fragte Rike atemlos.
    »Du musst ihm begegnet sein. Er ist vor kaum einer halben Stunde gegangen.«
    Das konnte überhaupt nicht sein. Der Zug war bestimmt noch keine zehn Minuten im Ort. »Von wem redest du?«
    »Von dem Bullen«, antwortete Töngen. »Er sucht dich.«
    Rike ließ sich in das trockene Heu fallen. Jetzt verstand sie überhaupt nichts mehr.
    Töngen setzte sich neben sie und zog seinen Tabak aus der Tasche. »Da habt ihr wohl einen ganz schönen Bock geschossen.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich suche Larsen.«
    »Das tun viele«, antwortete Töngen. »Die Bullen, der Holländer und weiß Gott wer noch.«
    »Weißt du nicht, wo er ist?«, fragte Rike flehend.
    »Ich habe keinen blassen Schimmer«, antwortete er und erzählte ihr von seiner letzten Begegnung mit Larsen und dessen überstürztem Aufbruch. »Er hat sich nicht mal von mir verabschiedet. Ist einfach mitten in der Nacht verschwunden.«
    »Und der Bulle, was wollte der?«
    »Die wissen von der Briefbombe«, antwortete Töngen. »Wieso hast du dich zu so etwas hinreißen lassen?«
    »Briefbombe? Du spinnst wohl vollkommen. Ich bin vor kurzem erst aus Australien zurückgekommen. Ich weiß nichts von einer Briefbombe.«
    »Dann steckt wohl doch Larsen alleine hinter der Sache«, überlegte Töngen laut. »Auf alle Fälle wollen sie deine Fingerabdrücke auf dem Kuvert gefunden haben.«
    »Und für wen soll die Briefbombe gewesen sein?«
    »Für den stellvertretenden Bezirksdirektor Esser.«
    Rike schüttelte den Kopf. »Das ist doch absoluter Blödsinn.«
    »Der Bulle jedenfalls meinte es ernst«, erwiderte Töngen. »Der wusste alles über dich. Sogar, dass du dem Regierungsfuzzi den Bericht über deine Forschungsergebnisse geschickt hast. Er meinte, bei deinen Vorstrafen bringt das mindestens zehn Jahre Knast.«
    Rike überlegte fieberhaft. Jetzt fügten sich die Passstücke langsam zusammen. Vielleicht war der Mann vor ihrer Wohnung in Marienhafe ein Polizist gewesen, und sie hofften über sie an Larsen heranzukommen. Aber wie passte der Einbruch bei Corde ins Bild?
    »Dieses Arschloch, was fällt Larsen bloß ein«, fluchte Rike. »Ich war überhaupt nicht da und der bringt mich in den Knast, das darf doch nicht wahr sein! Seid der dieses Zeug nimmt, ist er nur noch high, der Spinner. Hast du eine Idee, wo er untergekrochen sein könnte?«
    Töngen schüttelte den Kopf. »Er hatte überhaupt keine Kohle mehr. Weit kann er nicht gekommen sein.«
    »Weißt du, wer der Bulle war?«
    Töngen zog Kirners Visitenkarte aus der Jackentasche.
    »Kriminaloberrat Herbert Kirner, Landeskriminalamt«, las Rike laut. »Verdammt, es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, aus dieser Sache rauszukommen. Wenn ich mit dem Bullen rede …«
    »… dann wirst du genauso

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