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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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und er schob es in die Wellen. Das eiskalte Wasser lief ihm in die Stiefel, aber er scherte sich nicht darum. Als er weit genug draußen war, sprang er ebenfalls ins Boot. Mit dem Stock schob er es noch weiter hinaus, dann ließ er sich nieder und suchte mit den Händen das Zugseil des Motors. Er nahm das Feuerzeug zu Hilfe, doch plötzlich zerriss ein Knall die Stille. Töngen hörte das Surren eines Projektils, das nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorüberflog. Endlich hatte er das Startseil in seinen Händen und zog mit voller Kraft. »Oh Gott, spring bloß an!« Der Außenborder startete und Töngen senkte die Schraube ins Wasser. Einen Augenblick lang berührte das Metall den Grund, doch das Boot kam frei.
    Erneut ein Schuss. »Beeil dich!«, schrie ihm Rike zu.
    Töngen riss das Steuer herum und das Boot schoss nach steuerbord davon. Der dritte Schuss verhallte in der Nacht.
    *
    Corde war wie verabredet gegen Mitternacht gestartet und hatte den Hafen von Greetsiel mit Ziel Baltrum verlassen. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Nachtfahrten mochte er überhaupt nicht mehr und das Wetter lud auch nicht gerade zu einer Ausfahrt ein. Doch am meisten schlug ihm auf den Magen, dass er möglicherweise etwas Verbotenes tat. Er war jetzt bald siebzig Jahre alt und noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Und jetzt? Nicht nur, dass Rike gesucht wurde und er ihr zur Flucht verhalf, nein, er sollte sie noch dazu verstecken.
    Sein Arm schmerzte. Obwohl gestern der Gips durch eine Plastikschiene zur Stabilisierung ersetzt worden war, spürte er noch immer ein dumpfes Pochen. Was zum Teufel machte er hier bloß? In welche Geschichte war er nur geraten?
    Er hatte sich hin und her überlegt, wo er Rike unterbringen konnte. Zu Hause bei ihm kam nicht in Frage. Es dauerte bestimmt nicht lange, bis die Polizei bei ihm auftauchen würde. Dann war ihm sein alter Freund Onno Behrend eingefallen. Onno war Hobbyornithologe und überzeugter Naturschützer und hatte sich nach seiner Pensionierung auf Norderney zurückgezogen. Dort führte er ein beschauliches Leben abseits des Trubels der Stadt und widmete seine Zeit dem Wattenmeer und seinen Forschungen. Bei ihm würde sie ein paar Wochen bleiben können. Deswegen hatte er Onno vor seiner Abfahrt angerufen. Wohlweislich hatte er eine Telefonzelle benutzt. Schließlich konnte sein Telefon längst schon überwacht werden. Onno hatte sich schnell gemeldet und Corde hatte ihm eine Geschichte vorgelogen, für die er sich im Nachhinein noch immer schämte.
    Als er in den kleinen Hafen von Baltrum einlief und dort ankerte, waren seine Hände schweißnass.
    *
    Atemlos krallte sich Rike am Bootsrand fest. In halsbrecherischer Fahrt sprang das Boot über die Wellenkämme. Töngen manövrierte die taumelnde Jolle gekonnt durch die Wellentäler. Ab und an spritzte Wasser ins Innere, doch es störte sie nicht. Sie war schweißgebadet und am Ende ihrer Kräfte.
    »Der hat auf uns geschossen!«, wiederholte Rike immer wieder ungläubig.
    »Ich sag doch, die gehen über Leichen«, sagte Töngen. »Was glaubst du, wenn die dich erst mal in den Fingern haben …«
    »Ich kann’s nicht glauben«, wiederholte Rike. »Wenn der nun getroffen hätte! Die dürfen doch gar nicht so einfach schießen.«
    »Wir haben ihn angegriffen«, gab Töngen zu bedenken.
    »Trotzdem«, rief ihm Rike zu. »Die haben ihre Vorschriften und ich glaube nicht, dass die einfach aufs Geratewohl ins Dunkle schießen dürfen. Das war überhaupt kein Bulle.«
    »Was denn sonst?«
    »Du sagtest doch was von einem Schiff und von Rauschgift und dass Larsen behauptet hat, er wäre da an einer großen Sache dran. Was ist, wenn er sich mit irgendwelchen Verbrechern eingelassen hat?«
    Töngen überlegte. »Aber warum sollten irgendwelche Verbrecher jetzt hinter dir her sein?«
    »Vielleicht hat Larsen etwas entdeckt und sie glauben, ich weiß davon?«
    »Wie denn, du warst doch die ganze Zeit weg.«
    »Woher sollten sie das wissen?«
    Töngen schob das Ruder nach rechts. Die Lichter von Baltrum kamen in Sicht. »Du sagtest selbst, du wurdest überwacht und jemand wäre in deiner Wohnung gewesen.«
    »Auch bei Corde wurde eingebrochen und alles durchsucht«, antwortete Rike. »Dort haben sie sogar die Sitzgarnituren aufgeschlitzt.«
    Töngen hielt Kurs auf den Hafen. »Du hast recht, sie suchen etwas. Und sie glauben, du hast es.«
    Rike schüttelte den Kopf. »Was könnte das sein?«
    »Auf alle Fälle haben die Kerle auf uns

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