Die Wiege des Windes
führten, war niemand zu sehen.
Wahrscheinlich hatten die Polizisten sich längst um sein Haus postiert und warteten, bis Rike wieder auftauchte. Heute Nacht mussten Rike und er sehr vorsichtig sein. Sie würden sich durch das Wäldchen hinüber nach Flinthörn durchschlagen. Dort würde er sein Boot vertäuen, damit sie pünktlich um Mitternacht zu Beginn der Flut auslaufen konnten.
Er wartete noch ein paar Minuten, dann ging er hinüber zu den Telefonzellen. Corde meldete sich nach dem zweiten Klingeln. Nachdem Töngen dem alten Skipper erklärt hatte, worum es ging, herrschte Schweigen.
»Das ist strafbar«, erwiderte Corde schließlich.
»Wir müssen es für Rike tun«, sagte Töngen. »Sie sitzt wirklich in der Patsche. Die stecken Rike in den Bau und lassen sie erst wieder raus, wenn sie alt und grau ist. Und du hast doch nichts weiter zu tun, als sie auf Baltrum abzuholen. Du weißt ja nicht, dass sie gesucht wird.«
Schließlich stimmte Corde zu. Er würde im Hafen von Baltrum auf das Boot warten.
Zufrieden legte Töngen den Hörer auf die Gabel. Als er zum Bootssteg ging, sah er einen dunkel gekleideten Spaziergänger scheinbar ziellos über die Brücke am Anleger schlendern.
Also hatte er doch recht gehabt. Auch der Hafen wurde von der Polizei überwacht. Er eilte hinaus zu seinem alten Motorboot. Er hoffte, dass der 40-PS-Diesel-Motor anlief, das Boot lag schon mehrere Wochen ungenutzt im Hafen.
*
Kriminaloberrat Kirner hatte nicht einmal eine halbe Stunde am Anleger von Langeoog auf das Polizeiboot warten müssen.
Das Gespräch mit Töngen hatte zwar seinen Verdacht erhärtet, dass Larsen die Briefbombe gebastelt hatte, doch noch fehlten ihm Beweise. Bislang gab es nur die Verbindung zwischen Larsen und Friederike van Deeren. Noch nicht einmal für eine Öffentlichkeitsfahndung nach Larsen reichte das Material aus. Vielleicht würde der sich in Widersprüche verwickeln und sich daraus neue Ansatzpunkte ergeben, doch dazu musste er ihn erst einmal haben. So lange benötigte Esser noch Personenschutz. Keine Freude für die Kollegen vom zuständigen Revier.
Als das Polizeiboot in Wilhelmshaven festmachte, begann es zu regnen. Kirner beeilte sich, überquerte die Straße und stieg in seinen Wagen, den er gegenüber dem Marinemuseum geparkt hatte. Als er über die Kaiser-Wilhelm-Brücke zurück in die Innenstadt fuhr, sah er einen Streifenwagen unterhalb der Brücke auf dem Gelände am Südwestkai stehen.
An der nächsten Ampel musste er warten. Er sollte vielleicht bei dem für Larsen zuständigen Revier vorbeifahren. Die Kollegen am Ort wussten oft Dinge über ihre Klienten, die in keiner Akte vermerkt waren.
*
»Wir wissen jetzt, wo es passiert ist, wir können uns auch zusammenreimen, was passiert ist, nur warum es geschah, wer der Tote ist und wer der oder die Täter sind, wissen wir noch nicht.«
Trevisan stand an der großen Tafel im Konferenzzimmer und musterte den Stadtplan.
»Der Tod trat in der ersten Dezemberwoche ein. Das ergaben die Untersuchungen der Fettwachsbildung, der Gase im Körper der Leiche und die Sedimentanalyse. Nach dem ersten toxikologischen Befund sind im Gewebe Spuren von THC und Lysergsäurediethylamid nachweisbar. Das heißt, dass unser toter Freund Drogen nahm. Cannabis und LSD. Wir sollten uns mit den Drogenfahndern kurzschließen. Die Pappe ist mittlerweile etwas aus der Mode gekommen.«
Dietmar Petermann rückte seine schief sitzende Krawatte zurecht. »Vielleicht ist unser Vögelchen im Rausch der Farben von ganz alleine von der Brücke gehüpft.«
Johannes Hagemann schüttelte den Kopf. »Und die Schnitte am Rücken?«
»Na ja, man hört doch, dass die Kerle im Rausch nicht mehr wissen, was sie tun. Kann er sich nicht selbst aufgeschlitzt haben?«, antwortete Dietmar kleinlaut.
»Und die Hände hat er sich ebenfalls selbst hinter dem Rücken gefesselt«, witzelte Trevisan. »Mit dieser Nummer könnte er in jedem Zirkus auftreten.«
»War ja auch nur ein Gedanke«, erwiderte Dietmar grimmig.
»Ich gehe zu den Drogenfahndern und ihr beide hört euch draußen mal um«, sagte Trevisan. »Vielleicht hat jemand was gehört oder sogar gesehen und konnte sich keinen Reim darauf machen. Schließlich liegt ein Wohngebiet in der Nähe.«
»Und wo sollen wir uns umhören?«, fragte Dietmar, dem der Gedanke widerstrebte.
»Ebertstraße, Ahrstraße, würde ich sagen«, entgegnete Johannes Hagemann.
Dietmar erhob sich mit einem Seufzer. »Also gut, dann laufen
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