Die Wiege des Windes
geschossen«, wiederholte Töngen. »Das heißt, sie nehmen in Kauf, dass jemand von uns verletzt oder sogar getötet wird. Und da bei mir nicht eingebrochen wurde, ist es klar, dass sie hinter dir her sind.«
Rike richtete sich auf. »Wenn mich jemand töten wollte, dann hätten sie doch längst Gelegenheit dazu gehabt.«
»Ich glaube, wir kommen nur weiter, wenn wir Larsen finden. Aber ich habe keine Idee, wo er stecken könnte.« Töngen steuerte das Boot in den Hafen. Von weitem erkannte er Cordes Kutter, der vor der Hafenmauer dümpelte. Aus dem Ruderhaus strömte Licht hinaus in die Nacht. »Jetzt ist erst mal wichtig, dass Corde dich sicher unterbringt. Dann sehen wir weiter.«
14
»So antiquierte Dinge besorgt dir nur noch der Holländer«, erklärte Maler vom Rauschgiftdezernat. »Löschpapier ist seit Jahren out. Die schmeißen lieber eine Designer-Pille ein. Nur beim Holländer kriegt man noch alles.«
»Und wer ist dieser Holländer?«, fragte Trevisan.
»Eigentlich heißt er Jan De Bruik und ist vor langer Zeit von Leeuwarden herübergekommen. Jetzt kontrolliert er die Weststadt bis zum Bahnhof. Er hat seinen Stützpunkt am Stadtpark.«
»Und warum habt ihr ihn noch nicht festgenommen?«
»Den haben wir schon ein Dutzend Mal eingebuchtet, aber er kommt immer wieder frei. Die Zeugen erinnern sich plötzlich an nichts mehr und der Holländer ist nicht so blöd und läuft mit dem Stoff in der Stadt rum. Er benutzt tote Briefkästen. Die Konkurrenz hält er sich durch seine Schlägertrupps vom Hals. Wenn einer nicht zahlt oder ihm krumm kommt, gibt’s Prügel.«
»Würde er auch so weit gehen, dass er jemanden umbringt?« Trevisan erzählte dem Rauschgiftfahnder von der Leiche aus dem Hafen und den Feststellungen des Rechtsmediziners.
»Gefoltert«, sagte Maler nachdenklich. »Das passt zum Holländer. Der ist ganz schön jähzornig, wenn ihm einer in die Suppe spuckt.«
»Dann verstehe ich nicht, dass er bei uns noch keine Akte hat«, murmelte Trevisan.
»Erstens kommt es nicht so oft vor, dass es eine tödliche Auseinandersetzung im Drogenmilieu unserer Stadt gibt, und zum zweiten wird meist keine Anzeige erstattet, wenn die Schläger mal wieder eine offene Rechnung eintreiben.«
»Was unternehmt ihr gegen ihn?«, fragte Trevisan.
»Die Observation und die Telefonüberwachung stehen seit einem Monat, aber bislang haben wir noch kein ausreichendes Material gegen ihn in der Hand.«
»Seit einem Monat«, sagte Trevisan nachdenklich. »Führt ihr ein Protokoll?«
»Klar.«
»Kannst du nachschauen, was in der ersten Dezemberwoche los war?« Wenn sich der Holländer im Bereich des Großen Hafens aufgehalten hatte, wäre es an der Zeit, mit ihm zu reden.
»Das braucht aber eine Weile«, antwortete Maler. »Ich schicke dir einen Auszug, aber häng es nicht an die große Glocke. Man weiß ja nie.«
Als Trevisan über den Flur im zweiten Stock auf sein Büro zuging, rief ihn Dietmar Petermann zu sich. »Ich hab es! Hilko Corde, Kutterfahrten und Wattwanderungen, Greetsiel im Hafen. Er wohnt außerhalb des Dorfes. Ich hab die Adresse. Soll ich morgen früh rüberfahren?«
Trevisan schaute auf seine Armbanduhr. Corde war vielleicht der Schlüssel zur Identität des Toten, aber bis nach Greetsiel war es weit, heute würde es für eine Überprüfung zu spät werden. Morgen um 16 Uhr sollte er Paula am Bahnhof abholen. Wenn sie morgen früh genug abfuhren, würde er es rechtzeitig zurück zum Bahnhof schaffen.
»Wir treffen uns morgen früh um acht«, entschied Trevisan.
*
Als Rike an Bord der Molly stand, zitterten ihr alle Glieder. Töngen stützte sie. Ihr war schlecht und sie war nahe daran, sich zu übergeben. Ihre Kleidung war durchnässt. Auch Töngen triefte.
Corde war nervös und fahrig. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er und blickte in den düsteren Himmel. »Das Wetter wird schlechter. Bald haben wir Sturm, dann hängen wir hier fest.«
Töngen nickte atemlos.
»Wirst du uns begleiten?«, fragte Rike.
Töngen schüttelte den Kopf. »Ich fahr wieder rüber.«
»Aber du bist auf der Insel in Gefahr!«
»Ich muss zurück. Sonst suchen sie auch nach mir. Ich muss darauf vertrauen, dass der Kerl mich nicht erkannt hat.«
»Ich will von euren Machenschaften nichts wissen«, mischte sich Corde ein. »Aber die Zeit wird knapp. Die Nussschale steht das schwere Wetter nicht durch. Wenn du zurück willst, dann gleich.« Er reichte Töngen eine gelbe Öljacke. »Die wirst du brauchen.«
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