Die Wiege des Windes
Musik. Viktor Negrasov warf einen skeptischen Blick zur Tür.
»Sie kann uns nicht hören«, versicherte Romanow und nahm einen Schluck Prosecco. Mit einladender Geste wies er auf den reich gedeckten Tisch, doch Negrasov schüttelte nur den Kopf.
»Ich habe es nicht rechtzeitig auf die Insel geschafft«, erklärte er. »Der Fährverkehr war eingestellt und es flogen auch keine Flugzeuge.«
»Du hättest Igor anfunken können«, wandte Romanow ein.
»Sie waren zu weit draußen und beschäftigt. Ich denke, die Arbeit hat Vorrang.«
Romanow hatte das halbe Brötchen mit einem Bissen verschlungen. Mit vollem Mund antwortete er: »Richtig, aber das ist ab sofort vorbei. Du wirst dich jetzt persönlich um die Einsätze kümmern. Und wenn der Auftrag erledigt ist, dann sollen beide verschwinden. Ich möchte sie nicht mehr sehen, sonst vergesse ich mich noch. Wo sind sie eigentlich?«
»Ich habe sie zurück nach Hannover beordert. Sniper ist gesehen worden. Es ist besser, wenn er sich in den nächsten Tagen nicht dort oben zeigt.«
Romanow nickte und nahm etwas Kaviar. »Ein Traum, direkt aus dem Baikalsee. Der Geschmack ist unverwechselbar.«
Negrasov zündete sich eine lange, filterlose Zigarette mit tiefschwarzem Tabak an. Genüsslich zog er daran. »Auch aus der Heimat. Ist hier gar nicht zu bekommen.«
Das Wasser im Badezimmer hatte aufgehört zu rauschen.
Romanow beugte sich vor. »Der Alte ist der Schlüssel«, flüsterte er. »Ich will, dass diesmal alles klappt. In den nächsten vierzehn Tagen wird es turbulent zugehen. Ich kann niemanden brauchen, der mir mit irgendwelchen blödsinnigen Ideen und Mutmaßungen dazwischenfunkt. Es wird so schon schwierig genug.«
Die Badezimmertür wurde geöffnet und eine junge, blonde Frau, nur mit einem Badetuch beschürzt, betrat den Raum. Als sie Negrasov erblickte, blieb sie stehen. »Oh, ich wusste nicht, dass du einen Gast hast«, sagte sie mit hoher Stimme.
Romanow griff nach ihr und zog ihr das Badetuch vom Leib. Blitzschnell bedeckte die Frau mit ihren Händen ihre Blöße.
»Schau sie dir an«, sagte Romanow. »Ist sie nicht göttlich? Ich würde sie am liebsten mitnehmen. Sie ist so … so unschuldig, so rein.«
Negrasovs verächtlicher Blick streifte nur kurz über den hellen Körper. Dann warf er die Zigarette in den Aschenbecher und erhob sich. Romanow grinste breit. »Ich vergaß, dir liegen eher junge Männer. Aber alles, was du dir wünschst, kannst du bald haben. Wir machen das Geschäft und dann verschwinden wir in den Süden. Keine weiteren Fehler …«
Negrasov ging zur Garderobe und griff nach seiner Lederjacke. »Es wird keine Fehler mehr geben.«
*
Zu Hause wurde Trevisan bereits sehnsüchtig von Paula erwartet. Obwohl er müde und ihm nicht gut war, vertrieb ihr Lächeln die Schatten der vergangenen Stunden. Er nahm sie in den Arm.
»Ich möchte bei dir bleiben, Papa«, sagte sie, nachdem sie ihn fest gedrückt hatte. »Ich will nicht mehr nach Kiel. Mama mag mich überhaupt nicht mehr. Sie ist nur noch unterwegs und Tante Dörte motzt den ganzen Tag nur mit mir herum.«
Trevisan drückte sie fest an sich und streichelte ihr über das Haar. Seine Augen füllten sich mit Tränen, doch er ließ sich nichts anmerken. Am liebsten hätte er ihr in diesem Augenblick versprochen, dass sie für immer bei ihm bleiben könnte, doch er schwieg. Was nutzte es, Hoffnungen zu wecken, die er vielleicht letzten Endes nicht halten konnte.
Es musste etwas passieren, das wusste er ganz genau. Und der kommende Neujahrstag war ideal, an diesem Tag würde Grit bestimmt zu Hause sein. Es würde ein schwerer Gang für Trevisan werden, da Grit mittlerweile allein schon aus Prinzip gegenteiliger Meinung war.
*
Erneut lag eine schlaflose Nacht hinter Trevisan, als er sich am Silvestermorgen auf den Weg zur Inspektion machte. Erst nach mehreren Versuchen sprang der alte Corsa an. Auf dem kurzen Weg nach Wilhelmshaven starb der Motor bei jedem Halt ab. Wenn der Fall endlich abgeschlossen war und er wieder Zeit hatte, würde er den Automarkt studieren. Jetzt galt es erst einmal, Larsens Mörder zu finden. Trevisan atmete auf, als er kurz nach acht in den Hof der Inspektion einbog.
Im Büro angekommen, schaltete er erst einmal seine Kaffeemaschine ein. Der gesamte zweite Stock war verwaist. Der Feiertag warf seine Schatten voraus. Trevisan kramte das Telefonbuch aus seiner Schreibtischschublade und suchte die Nummer des Bahnhofs. Nach einem kurzen Anruf wusste er,
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