Die Wiege des Windes
war wie weggeblasen. Die Erkenntnis, dass er einer kalten und fremd gewordenen Frau gegenübersaß, lähmte seine Gedanken.
»Paula will bei mir bleiben«, fiel er mit der Tür ins Haus.
Grit sprang auf. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
»Hör doch, es ist besser für sie. Die Situation …«
»Du verdammter Idiot«, fiel ihm Grit ins Wort. »Du hast ihr das eingeredet. Dabei waren wir uns einig, das Kind nicht zu benutzen.«
»Ich habe es …«
»Du machst alles kaputt. Wie immer. Nichts hat sich geändert. Wenn ich das gewusst hätte, dann …«
Trevisans Gesicht lief rot an. Er erhob sich. Die Schaukel war wieder auf der anderen Seite angekommen. »Jetzt hör mir mal zu!«, schrie er seine Noch-Ehefrau an. »Ich habe ihr überhaupt nichts eingeredet. Das Kind ist vollkommen fertig. Sie wird von dir nur abgeschoben, fühlt sich nur noch im Weg. Dir und deinem neuen Leben im Weg und du lässt es sie auch deutlich spüren. Und diese blöde Kuh, die sich deine Freundin nennt, hackt den ganzen Tag auf Paula herum. Du glaubst doch nicht, dass ich dabei tatenlos zusehe. Paula bleibt bei mir, aus und basta.«
»Du spinnst wohl.«
»Nein, du spinnst, wenn du glaubst, dass mir meine Tochter nichts bedeutet. Das mit uns ist etwas anderes. Wir haben uns so weit voneinander entfernt, dass es kein Zurück mehr gibt. Aber Paula hat es nicht verdient, nur noch zur Seite gestellt zu werden. Aus- und eingeschaltet wie ein Automat, so wie es dir und deiner sauberen Komplizin passt.«
Grit baute sich vor Trevisan auf. Sie war ein ganzer Kopf kleiner als er, doch in ihr steckte eine unbändige Kraft. »Verschwinde hier!«, zischte sie.
Trevisans Blut kochte. »Nicht, bevor wir das geklärt haben.«
»Dann hole ich die Polizei«, drohte Grit.
»Wenn du dich unbedingt lächerlich machen willst.«
Grit ging zur Tür. »Ich will, dass du Paula am Sonntag um vierzehn Uhr zum Bahnhof bringst. Wenn du es nicht tust, dann werde ich dich anzeigen.«
Trevisan schaute Grit ungläubig an. »Und warum?«
»Wegen Kindesentführung oder so etwas.«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Wie kann man nur so verbohrt sein. Wir haben uns getrennt, aber wir sind noch nicht geschieden. Und Paula ist genauso meine Tochter wie deine. Und denkst du nicht, es wäre besser, sie bleibt dort, wo sie glücklich ist?«
Grit öffnete die Tür. »Ich will, dass du Paula am Sonntag zum Bahnhof bringst. Ich will mit ihr selbst sprechen. Aber versuch keine Tricks. Ich sage dir, ich gehe zur Polizei. Ich bin die Mutter und du nur der Vater. Wer glaubst du, zieht den Kürzeren? Also tue, was ich dir gesagt habe, sonst bekommst du Paula nie wieder zu Gesicht, dafür werde ich sorgen.«
Trevisan war nicht weit davon entfernt, zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau zu schlagen. Doch der Verstand besiegte seine überschäumenden Emotionen. Seine gesunde Hemmschwelle half ihm dabei, doch jetzt konnte er sich leicht in die Menschen versetzen, mit denen er ab und zu beruflich zu tun hatte und bei denen die Sicherungen durchgebrannt waren.
»Bitte, rede mit Paula und vergiss mich und unsere Situation dabei. Wenn es dir auch schwer fällt. Ich weiß, ich habe viele Fehler gemacht, aber es geht hier nicht um Schuld. Es geht um unsere Tochter. Das Einzige, was geblieben ist nach vierzehn Jahren Ehe. Ich habe keine Lust mehr zu kämpfen. Ich kann dir nur wünschen, dass du findest, was immer du auch suchst.«
Trevisan ging zur Tür, ohne auf Grits Antwort zu warten. Ein letzter Blick streifte ihr Gesicht. Und er hatte den Eindruck, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.
*
Als er am Abend zurück nach Sande kam, redete er lange mit seiner Tochter. Er erzählte ihr, dass er sie am Sonntag zum Bahnhof bringen würde, aber er sagte ihr auch, dass er alles versuchen wolle, um sie glücklich zu machen. Sie weinte und er schloss sie in seine Arme und streichelte ihr zärtlich über das Haar.
»Alles wird gut«, sagte er, und er hasste sich dafür, denn er wusste, es war nicht viel mehr als eine hohle Phrase.
*
Hilko Corde schrubbte das Deck des alten Kutters. Der Wind des vergangenen Tages hatte allerlei Unrat über den Planken verstreut. Für die nächsten Tage hatten die Meteorologen gutes Wetter vorausgesagt und er wollte gewappnet sein. Es gab immer ein paar Gäste, die einen Bootsausflug buchen wollten oder die es auf eine der Inseln zu einem Neujahrsumtrunk zog.
Noch immer schmerzte Larsens Tod, doch daran konnte er nichts mehr ändern. Er hatte
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