Die Wiege des Windes
schrieb: moin, landratte, gute arbeit. habe neues programm aus dem net geladen, schicke es dir zu und nehme dich im sommer mit raus auf inseltour, danke … mfg ornithologe.
Wieder Zahlen, wieder Koordinaten. Satellitentechnik, das wusste er von seiner Tätigkeit bei der Schifffahrtsdirektion, wurde zur Vermessung und Beobachtung eingesetzt. Vielleicht sollte er sein Versprechen an Rike überdenken und mit seinem Freund Benno aus Nordenham telefonieren. Soweit er sich erinnern konnte, war es nicht so einfach, in den Schutzzonen außerhalb offizieller Schifffahrtswege herumzuschippern. Dazu bedurfte man der Genehmigung durch die Nationalparkverwaltung oder durch das Ministerium. Er wandte sich um, Rike schlief noch immer. Auf leisen Sohlen verließ er den Raum.
*
Das Telefon klingelte kurz vor zwölf Uhr. Missmutig nahm Trevisan den Hörer ab. Er hatte sich vorgenommen, den Nachmittag frei zu nehmen. Er hatte einen wichtigen Termin und anschließend wollte er den Rest des Tages mit Paula verbringen, damit er wenigstens ein paar Stunden mit ihr zusammen wäre, bevor er sie am Sonntag zum Bahnhof bringen musste.
»Trevisan, FK 1.«
»Kirner hier«, erhielt er zur Antwort. »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich suche nach einem Mörder, genau wie Sie. Schon bei unserem letzten Gespräch habe ich Ihnen den Vorschlag zur Zusammenarbeit gemacht. Aber es ist nicht effektiv, wenn ich in Hannover sitze und Sie in Wilhelmshaven. Finden Sie nicht auch?«
Trevisan überlegte. Natürlich wäre es für Kirner ein Leichtes, die Ermittlungen komplett an sich zu ziehen und die Herausgabe der Ermittlungsergebnisse in Sachen Larsen zu verlangen, doch das war offenbar nicht sein Ziel.
»Kurzum, ich habe mir überlegt, ich komme zu Ihnen. Sie haben doch bestimmt eine kleine Ecke in Ihrer Abteilung frei.«
»Sie übernehmen dann die Leitung?«, fragte Trevisan misstrauisch.
»Es ist Ihre Inspektion, es ist Ihre Zuständigkeit. Ich bin Beobachter und Berater und nehme alles, was für mich abfällt.«
Trevisan überlegte. »Und alle Fakten kommen auf den Tisch?«
»Warum sind Sie denn so misstrauisch?«, entgegnete Kirner. »Ich will Ihnen Ihren Job und den Erfolg nicht streitig machen.«
Trevisan lachte. »Erst einmal müssen wir Erfolg haben. Aber sagen wir, ich habe schon ein paar Mal negative Erfahrungen gemacht. Vor allem das Spiel mit offenen Karten ist nicht jedermanns Stärke. Da gibt es innerhalb der Polizei ein paar Abteilungen, die nicht immer Farbe bekennen, wenn es darauf ankommt. Und ich habe keine Lust, mich aufs Kreuz legen zu lassen.«
Kirner seufzte. »Mein Wort darauf: alle Fakten, alle Ergebnisse und absolute Offenheit.«
Trevisan atmete tief ein. »Dann sehen wir uns am Montag um neun Uhr. Und bringen Sie sich ein Sitzkissen mit. Unsere Stühle sind nicht unbedingt bequem.«
Nachdem Trevisan das Gespräch beendet hatte, legte er nachdenklich den Kopf in die Hände. Hoffentlich ging das Ganze gut. Schon oft genug hatte er die Erfahrung gemacht, dass das Wort »Zusammenarbeit« für die Supercops des Kriminalamtes eine ganz eigene Bedeutung hatte.
29
Trevisan ging über die Mozartstraße in die Fußgängerzone zu einem Geschäftshaus in der Marktstraße. Im dritten Stock war die Anwaltskanzlei Göbers & Doblin untergebracht. Bereits am Morgen hatte er einen Termin vereinbart. Der Anwalt Göbers, der auch als Strafverteidiger fungierte, war für Trevisan kein Unbekannter und hatte einen überaus guten Ruf.
Trevisan klingelte an der nussbaumfarbenen und mit goldenem Türschild versehenen Tür. Der Summer ertönte und Trevisan trat ein. Ein schwerer, gediegener Teppich, in Grün gehalten und mit einem verschachtelten Muster, bedeckte den Boden. Die Wände, in orangerotem Ton und Pinselstrichmuster getüncht, wurden von großen Ölgemälden verziert. Szenen aus der Seefahrt.
Trevisan legte seinen Mantel an der Garderobe ab und betrachtete die Bilder. Absolut passend für die einzelnen Abschnitte des Lebens, dachte er. So wie der Skipper auf dem großen Ölgemälde rechts der Tür fühlte er sich seit den letzten Tagen. Hohe Wellen, die Gischt nahm die Sicht und der Kutter schaukelte auf dem Wellenkamm wie ein Spielball in der schweren See. Auch hinter seinem Leben tat sich inzwischen dieses gewaltige Wellental auf, das ihn wie ein Abgrund zu verschlingen drohte.
»Sie sind Herr Trevisan?«
Er fuhr herum. Eine junge, blonde Frau in einem beigen Kostüm reichte ihm mit einem breiten
Weitere Kostenlose Bücher