Die Wiege des Windes
natürlich nicht für alle Gebiete«, beeilte sich Frau Greven zu versichern. »Wir haben eine Schutzzonenverordnung. In tier- und vogelreichen Gebieten, auf Inseln mit Brutplätzen und Sandbänken mit Robbenpopulationen gelten verschärfte Bedingungen.«
»Verschärfte Bedingungen?«, wiederholte Trevisan.
»Einfach ausgedrückt, man braucht schon einen guten Grund, um sich in die Nähe der geschützten Gebiete zu begeben.«
»Eine russische Forschungsgesellschaft auf einem schwedischen Kreuzer ist draußen im Roten Sand unterwegs«, erzählte Trevisan. »Können Sie nachprüfen lassen, was das Schiff für einen Auftrag hat und von wem die Genehmigung stammt? Wir ermitteln in einem Mordfall. Es ist überaus wichtig.« Einen Augenblick verharrte Trevisans Blick auf den Augen der Frau.
»Geht es um Direktor Esser?«, fragte Frau Greven.
Kirner blickte auf. »Wie kommen Sie darauf?«
»Na, ja, es ist vielleicht unbedeutend, aber es gab da in letzter Zeit einige Verstimmungen wegen der russischen Expedition«, antwortete Frau Greven zögerlich. »Es ist eine Sache des Ministeriums. Sie wurde uns förmlich aufs Auge gedrückt. Im Interesse der Völkerfreundschaft, verstehen Sie?«
Kirner nickte. »Und um was geht es bei dieser Expedition?«
»Die Russen wollen den Lebensraum Wattenmeer und die Einflüsse auf Wetter, Flora und Fauna in Hinsicht auf das sich verändernde Klima erforschen. Darüber existieren bereits unzählige Studien, aber davon wollten sie nichts wissen. Offenbar geht es um den Erhalt eines großen Sees in Russland, dessen Bedingungen denen der Nordsee ähnlich sind und der einen natürlichen Durchfluss von Meereswasser aufweist.«
»Und wie lange sind die Russen schon hier?«
»Seit Anfang 1996. Sie tauchen immer wieder mal für einige Monate auf.«
»Und warum ist das problematisch?« fragte Trevisan.
Frau Greven zuckte mit den Schultern. »Die Genehmigung umfasst auch die Schutzzone 1. Das heißt, sie stören mit ihren überflüssigen Arbeiten die Natur und machen ohne Rücksprache von ihrem Betretungsrecht Gebrauch. Und das zu einer Zeit, in der unsere Seehundpopulation in den westlichen Sandbänken des Roten Sandes und der Nordergründe abnimmt. Wir würden die Aktion gerne stoppen, aber wir sind dazu verdammt, sie zu dulden. Esser wollte intervenieren und die Genehmigung widerrufen, doch sein Stellvertreter Liebler hielt ihn zurück. Es sei sehr kompliziert und schließlich käme die Anordnung zur Zustimmung direkt aus dem Ministerium. Verstehen Sie?«
»Von wem genau kam die Anordnung, können Sie sich noch daran erinnern?«, fragte Kirner.
»Es war irgend so ein Ministerialdirigent. Ich glaube, er hieß Winterberg oder so ähnlich.«
»Ihre Behörde ist eigenständig«, sagte Trevisan, »aber mit der Bezirksregierung verbunden. Wer trifft die Entscheidungen?«
Frau Greven erhob sich und ging zu einem kleinen Schrank in der Ecke des Raumes. »Es ist eigentlich ganz einfach«, sagte sie und schlug ein Faltblatt auf. »Wir sind der Bezirksregierung untergeordnet. Der eigentliche Dienstherr ist der Regierungspräsident. Herr Doktor Esser ist gleichzeitig stellvertretender Bezirksdirektor. Ihm wurde die Leitung unserer Behörde übertragen. Er hat sein Büro zwar in Oldenburg, aber er pendelt. Wir haben als Dienststelle den Auftrag, das Wattenmeer zu schützen, zu verwalten, darüber zu wachen und die Aufsicht auszuüben.«
»Das heißt also, alles was ich im Nationalpark mache oder vorhabe, muss ich mir von Ihrer Behörde genehmigen lassen?«
»Nicht alles. Es gibt eine Schutzverordnung. Darin sind die einzelnen Schutzgebiete erfasst. Zone 1 ist das Gebiet mit höchster Schutzpriorität, da ist quasi alles genehmigungspflichtig. Auch das Betreten. Bei der Zone 2 gelten dementsprechend einige Erleichterungen, Zone 3 erlaubt das Befischen zu bestimmten Zeiten und die Zone 4 steht zur eingeschränkten ökonomischen Nutzung zur Verfügung.«
»Das heißt also, es gibt festgeschriebene Verordnungen, die für jeden gelten und die man nachlesen kann?«
»Die Verordnung ist öffentlich, aber die Einteilung der Schutzzonen variiert. Schließlich gibt es unterschiedliche Interessengruppen, die bei Änderungen von Voraussetzungen natürlich Ansprüche erheben. Die Fischer, die Schäfer, die Fährdienste, die Landwirtschaft. Wir versuchen hier nicht in Bausch und Bogen über Köpfe hinweg zu entscheiden, es soll ein Miteinander entstehen, von dem alle profitieren. Wenn wir es schaffen, bei
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